Wenn Geschicke und Schicksale der Welt emotionalen Einzug in das familiäre Leben halten beispielsweise in das allabendliche Abendbrot-Zeremoniell, dann nehmen wir das sehr ernst und reden lange und ausführlich über Gedanken, Nöte und Sorgen. Dann ist es auch egal, dass es schon spät und am nächsten Morgen Schule ist. Der Sohn isst dabei sein Bärchenwurstbrot.
Der Sohn isst eigentlich nur Bärchenwurstbrot. Der Slogan der Vegetarier, man dürfe nichts essen, das ein Gesicht hatte, würde bei ihm auf völliges Unverständnis stoßen.
Wir reden auch darüber:
So viele Menschen auf der Welt hungern. Ist es denn da nicht schön, dass wir überhaupt etwas zu essen haben?
Natürlich.
Muss dann auf dem Essen unbedingt ein Gesicht gemalt sein?
Nein.
Was hättest du denn gern zum Abendbrot?
Ein Bärchenwurstbrot mit Salz.
Ein befreundeter Koch erzählte mir einmal, das ginge vorüber, er hätte ähnlich variationsarm gelebt, bis er etwa 14 war, dann kam der große Hunger.
Das wären also noch vier Jahre, in denen ich lernen kann, meine Scham zu beherrschen, wenn ich an der Supermarktkasse die unzähligen Packungen Bärchenwurst auf dem Band unter den Naturjoghurt zu schmuggeln suche.
Und wenn es nie aufhört? Muss ich dann beginnen, Nahrungsmittel in zeitaufwändiger kunstvoller Art anzurichten, damit sie gegessen werden?
Sind die Jahre mit der Bärchenwurst, Jahre die später einmal emotional verarbeitet werden müssen?
Oder wird aus Essenverweigerung und dem damit einhergehenden Wunsch, die Köchin nicht zu verletzen, irgendwann einmal Kunst, wie beim Fotografen Alexander Crispin?
Trotz des Versuchs, das Ganze von einer humorvollen Seite zu nehmen, zerreisst mich das Thema. Gerade jetzt. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
(Was würde eigentlich passieren, wenn die erste große Liebe des Sohns Vegetarierin wäre?)
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