Sonntag, 28. Januar 2018

Die Mutter-Kolumne: Wer trödelt verpasst das halbe Leben. Echt jetzt?

Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, viele machen oder sagen das, aber wieso eigentlich?



„Der frühe Vogel fängt den dicksten Wurm!“, rief ich.
„Ihhhh! Würmer“, schallte es aus der Wohnung zurück.
Sonst passierte nichts.
Kein Wunder, das war ein denkbar unappetitlicher Spruch gewesen. Doch alles andere hatte ich schon versucht. Ich hatte geflötet, gelockt, gemahnt, erpresst und gedroht. In dieser Reihenfolge. Mindestens dreimal hintereinander.
Nun stand ich gesattelt und gespornt, besser gesagt, bejackt und beschuht, außerdem mit der Mülltüte und dem Altglas beladen – wir wohnen im Dachgeschoß, da will jeder Treppengang wohl durchdacht sein – seit einer Viertelstunde im Treppenhaus und schwitzte vor mich hin. Der Satz vor dem wurmlastigen war nämlich „Ich gehe jetzt los!“ gewesen. Vielleicht sollte ich das nun auch wirklich tun.
„Ich gehe jetzt los!“, rief ich zur Wohnungstür hinein.
„Das hast du schon gesagt“, antworteten mir zwei abwesende Stimmchen.

Wütend stapfte ich die Treppe hinunter.

Dabei hatte ich heute gar nicht raus gewollt, sondern gemütlich lesend den grauen Tag auf dem Sofa verbringen wollen. Es waren meine Kinder, die doch noch das Theaterstück sehen wollten.

Wütend knallte ich den Mülltonnendeckel zu.

Es war stets das Gleiche. Obwohl ich rechtzeitig zum Aufbruch blies, wohlweislich jedes Mal ein wenig früher, kamen die zwei nicht zu Potte und wir ständig völlig abgehetzt und ein wenig zu spät irgendwo an.

Wütend warf ich das Glas in den Container. 
Flasche für Flasche. Die kleine, gummibeschürzte Öffnung ließ nichts anderes zu.

Mir ist Pünktlichkeit wichtig. Ich beeile mich, wenn ich einen Termin oder eine Verabredung habe.

Für die weißen Flaschen gab es ein anderes Loch als für die grünen oder die braunen.

Meistens bin ich sogar zu früh und warte. Oft auch länger.

Ich lauschte dem Geräusch einer jeden Flasche nach. Zersprang sie in tausend Stücke oder blieb sie heil? Ich schloss innere Wetten ab.

Manchmal warte ich auch zu lang auf die anderen. Öfter sogar. Das ist eigentlich auch nicht schön.

Endlich kam meine kleine Schar angehüpft.
„Was habt ihr denn noch so lange gemacht?“, fragte ich.
Einiges, erfuhr ich. Die Zähne nach der neuen Anleitung – der Zahnarzt war gestern in der Schule – geputzt, das Arrangement verschiedener Fundsachen auf dem Schreibtisch neu sortiert, mit fünf blöden Socken gekämpft, etwas Verlorenes unterm Bett gefunden, drei Seiten im LTB angeschaut, dieses eine bestimmte Kleid gesucht und eine Kette dazu gefädelt, etwas Kleines gegessen, noch einmal auf dem Klo–
Der Glockenschlag der Kirchenuhr unterbrach die Aufzählungen.
„Auweia! Wir müssen uns beeilen!“, rief das Töchterchen, und die beiden flitzten los.
Erstaunt sah ich der Staubwolke dabei zu, wie sie sich langsam wieder legte. Es war also möglich. 

Da begriff ich etwas. Es ging im Leben meiner Rabaukelchen nicht ums Verplempern von Zeit, sondern schlicht um Prioritäten, die sie sich selbst setzten. Etwas, das ich nicht mehr so oft tun konnte, und viele in meinem Alter gar nicht mehr.
„Möge ihnen das noch sehr lange gelingen“, wünschte ich und rannte ihnen nach.

Dienstag, 16. Januar 2018

Die Mutter-Kolumne: Carpe Diem! – Aber was bedeutet das?

Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, viele machen oder sagen das, aber wieso eigentlich?


„Kapert die M.!“, rief das Söhnchen.
„Wer ist die M.?“, fragte seine Schwester.
„Weiß nicht. Hat die Lehrerin gesagt“, knurrte der Sproß.
„Unsere Nachbarin Frau Müller?“, fragte meine Tochter.
„Ihhh! Die will keiner kapern.“
„Vielleicht Malzbonbons“, sagte ich. „Kapert die Malzbonbons!“
„Was ist das denn?“, fragte mein Sohn.
„Wir können welche machen“, schlug ich vor.
„Au ja!“, riefen die Kinder und folgten mir in die Küche.

Die Malzbonbons schmeckten nicht wirklich, aber wir hatten eine Pfanne zerstört, uns alle etwas verbrannt, und wir hatten Mühe hineingesteckt. Also saßen wir auf dem Sofa und lutschten die bitteren Brocken.
„Die M. könnte ein Schiff sein“, überlegte meine Süße.
„Das Piratenschiff Die Mäusebraut“, sagte der Sohn kichernd.
„Das gefährlichste Schiff jenseits der Polargewässer“, meinte das Töchterchen. „Lasst sie uns mit den neuen Buntstiften malen.“
Die neuen Buntstifte waren prächtig, noch prächtiger war Die Mäusebraut, die mit ihrer Hilfe und vier kleinen Händen entstand. Es würde nicht einfach sein, sie zu kapern.

„Oder die M. sind die Murkelliesen“, überlegte die Schwester, nachdem wir das Werk an unsere Gemäldewand gehängt hatten. „Kapert die Murkelliesen.“
„Wer sind die Murkelliesen?“, wollte der Bruder wissen.
„Oh, die kenne ich“, begann ich raunend zu erzählen. Ich erzähle sehr gern Geschichten. Wir kuschelten uns wieder auf das Sofa. Obendrauf legten wir die gemütliche Decke. „Die Murkelliesen kommen nur in schwarzen Nächten aus dem Moor, greinend wabern sie die dunklen Straßen entlang. Murkelt uns, ihr Leute, rufen sie mit ihren schrecklichen Stimmen. Murkelt uns, denn uns ist so kalt im öden Moor.“
„Und dann?“, fragte das Söhnchen aufgeregt.
„Und dann–“, hob ich an.
„Und dann–“, unterbrach meine Tochter.
Flink übernahm sie die Geschichte der gekaperten, grausligen Murkelliesen. Es herrschte eine lustvolle Konkurrenz zwischen den familiären Bänkelsängern. Wir lutschten noch ein paar Malzbonbons.
„Die Leute haben Angst, dabei wollen die Murkelliesen nur eine Umarmung. Aber wenn man eine Murkelliese berührt, wird man ganz nass und kalt und auch ein bisschen schleimig.“
„Brrr“, machte mein Sohn und schüttelte sich wohlig.

Am Ende der Geschichte, war auch der Nachmittag zu Ende. Wir hatten alles verpasst. Ballett und Hapkido, die Hausis waren nicht gemacht und das Abendbrot hatte ich nicht zubereitet. Dabei sollte es doch einen besonderen Getreideauflauf geben. Einen den ich nicht ganz so schlimm fand und der äußerst gesund zu sein schien.
„Wir haben nicht die M. gekapert“, stellte das Söhnchen fest. „Wenn man die M. kapert wird man klug und schön und ein guter Mensch. Man nutzt den Tag.“
„Auweia, wir haben ja nicht mal Ballet und Hausis gemacht und nur Bonbons gegessen“, sagte die Schwester.
„Hat aber mehr Spaß gemacht, als eine blöde M. zu kapern, oder?“, meinte der Bruder, und die beiden grinsten sich an.

Ich lächelte vor mich hin. Carpe Diem heißt Genieße den Tag, nicht Nutze den Tag. Ob man davon klug, schön und gut wird, weiß ich nicht. Aber wir waren glücklich.