Ein Geschenk für die Großen - Kurzgeschichte: Nächte mit Brendan Fraser aus meinem Buch: Männer.Frauen.Tage.Nächte.


Nächte mit Brendan Fraser
Brendan Fraser saß vor mir auf einem Stein und schaute in dieselbe Richtung wie ich. Ich wusste sofort, dass er es war, obwohl er ziemlich weit entfernt auf dem Stein saß und ich ihn zudem nur von hinten sehen konnte. Trotzdem, ich wusste es sofort.
Vielleicht wegen der Landschaft, die sich vor uns ausbreitete. Ein feuergeformter Ozean, drohend gelborangefarben und windzerzaust. Dahinter etwas Wildes, nicht zu Erkennendes, wie von Turner Gemaltes. Der Boden trocken und rissig und sehr karg.
Ich sah mich genauer um. An der Feuerwasserkante entlang verlor es sich staubig bis in den Horizont. Hinter uns war nichts. Weil ich ein Nichts nicht begreifen konnte, beschloss ich, mich nicht mehr umzudrehen.
Ich saß ebenfalls auf einem Stein. Der Wind zauste. Ein unsichtbarer Adler schrie. Ich war ergriffen und fühlte ein Tremendum. Mir war nicht kalt und nicht heiß, ich verspürte weder Hunger noch Durst, noch sonst irgendetwas. Ich war. Hier mit Brendan Fraser.
Brendan Fraser saß auf seinem Stein und bewegte sich nicht. Er drehte sich nicht um und er sagte nichts. Ich versuchte am Wind vorbei zu lauschen und war mir ganz sicher, Brendan Fraser saß einfach da und gab keinen Mucks von sich, er machte keine seltsamen Geräusche, er pfiff kein Liedchen vor sich hin, er blies nicht einmal die Backen auf.
Wir saßen eine ganze Weile auf den Steinen, so lange, dass sich ein leichtes Gefühl der Langeweile einstellte. Noch immer geschah nichts, und ich fragte mich gerade, was das denn alles solle, da lag ich in meinem Bett und war erwacht. Welch seltsamer Traum, dachte ich und vergaß ihn.
Erst, als ich wieder auf dem Stein saß, den ich nun als den meinen bezeichnete, als der Wind zauste, der Adler schrie, sich das wilde Etwas in der Ferne bäumte und Brendan Fraser noch immer einfach da saß, nichts sagte und sich auch nicht umdrehte, da wurde ich doch etwas ungeduldig. Aber ich blieb sitzen und harrte, bis ich erwachte. Zweimal hintereinander derselbe Traum, so etwas gibt es. Schade nur, dass gar nichts weiter geschah. Zumal ich Brendan Fraser sehr schön und amüsant finde und mich gern mit ihm unterhalten hätte.
Vor dem nächsten Einschlafen las ich ein englisches Buch. In den letzten wachen Minuten formulierte ich einige unverfängliche Smalltalkansätze. Man wusste ja nie und ich wollte doch ein wenig vorbereitet sein. Leider  hinderte mich das Suchen nach den jeweiligen Vokabeln am Einschlafen, so dass ich schließlich damit aufhören musste.
Es hätte sowieso keinen Sinn gehabt, denn in dieser Nacht war Brendan Fraser beschäftigt. Eine lange Reihe langsam dahin schreitender Menschen hatte sich gebildet, deren Ziel Brendan Fraser auf seinem Stein war. Er empfing jeden einzelnen mit einem herzlichen Händedruck, plauderte eine Weile mit ihm, schrieb ein Autogramm und winkte dem so Beschenkten lange nach. Ein Ende war nicht abzusehen.
Ich bleib auf meinem Stein sitzen, bis ich erwachte. Obwohl der Wecker laut vor sich hin piepte, blieb ich noch eine Weile liegen und fragte mich, was ich mir mit dem Traum sagen wollte. Es fiel mir nichts ein.
In der folgenden Nacht war die lange Reihe der wartenden Fans verschwunden. Brendan Fraser und ich waren wieder allein.
„Entschuldigen Sie“, rief ich in Brendan Frasers Richtung gegen den Wind an. „Hätten Sie vielleicht Interesse an ein wenig Konversation?“
Brendan Fraser reagierte nicht. Also begann ich wieder zu warten, bis ich erwachen würde.
Doch da erhob sich der schöne Mann plötzlich von seinem Stein und kam lächelnd auf mich zu. Ich fand sein Lächeln sah etwas unecht, aber sehr gut aus. Er trug einen schwarzen Anzug.
„Guten Tag“, sagte er. „Ich sehe Sie nun hier seit drei Nächten sitzen und da habe ich mir überlegt, ob ich nicht mal hinter kommen sollte“, begrüßte er mich und streckte mir die Hand für einen herzlichen Händedruck entgegen.
„Ach, Sie hatten mich bemerkt?“, fragte ich etwas verwirrt, denn das war mir gar nicht aufgefallen.
„Na ja, ...“, machte er und seine blauen Augen verloren sich für einen Moment nach unten.
Irritiert schaute ich an mir hinunter. Ich war nackt.
„Oh“, sagte ich, „entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug.“
„Aber das macht doch nichts“, versicherte mich Brendan Fraser und seine Augen blitzten ein bisschen.
„Das sind im Übrigen auch gar nicht meine Brüste“, erklärte ich.
„Das dachte ich mir schon. Dürfte ich mal ...?“
Und er trat näher heran und nahm die Brüste, die nicht die meinen waren, vorsichtig in die Hände. Leider spürte ich von der Berührung nichts. Was ich bedauerte, obwohl es in sich logisch war.
„Ich weiß, wem sie gehören“, begann Brendan Fraser zu erklären, unterbrach sich dann aber.
„Sie tragen da einen sehr schönen Anzug“, versuchte ich es einmal.
„Nicht wahr. Er ist ganz neu.“
„Vielleicht ein bisschen unpassend für diese Gegend hier“, wagte ich einzuwenden.
„Da haben Sie recht. Ich sollte mir morgen etwas anderes anziehen.“
„Ja, ich sollte das auch tun“, sagte ich und fasste unauffällig an die großen Brüste, die nicht mir gehörten.
Brendan Fraser lächelte.
„Glauben Sie, wir werden uns morgen wieder hier treffen?“, fragte er dann.
„Ich weiß es nicht. Was meinen denn Sie?“
„Ich weiß es auch nicht“, seufzte er.
Wahrscheinlich hatte er die letzten Nächte auch nicht so aufregend gefunden.
Ich fragte mich, warum wir nicht über einander herfielen. Immerhin waren wir völlig allein, kein Mensch so weit das Auge reichte. Zudem war ich nackt und mit wunderbaren Brüsten bestückt. Und er war der schönste Mann, den ich je getroffen hatte. Außerdem war das hier ein Traum. Wir hätten also durchaus tun und lassen können, was wir gewollt hätten. Niemand hätte je davon erfahren und wenn doch, dann hätte uns niemand dafür zur Rechenschaft ziehen können. Ich versuchte es, mit einem kleinen Lächeln zu dem ich meinen nackten Oberkörper etwas durchdrückte.
„Na dann“, sagte Brendan Fraser jedoch, „nett, Sie kennen gelernt zu haben.“
Und dann lächelte er sein Lächeln, fuhr sich durchs Haar und lief zurück zu seinem Stein, auf den er sich schwer niederließ. Auch ich setzte mich wieder und begann auf das Erwachen zu warten. Hin und Wieder seufzte ich ein wenig sehnsüchtig. Was war das nur für ein blödsinniger Traum?
In der Nacht darauf war Brendan Fraser nicht allein. Eine sehr blonde, sehr kurvige Dame mit einem lauten Lachen saß auf seinem Schoß. Die beiden schienen herum zu albern, außerdem küssten sie sich verstohlen. Ich konnte sehen, dass Brendan Fraser etwas verhaltener war als seine Begleiterin. Schließlich stand die auf und kam zu mir gelaufen.
„Entschuldigen Sie, wäre es möglich, dass Sie sich vielleicht umdrehten? Wir wollen einen sehr intimen Moment miteinander teilen und Brendan fühlt sich durch Sie gestört.“
Na, das wurde ja immer besser. Ich sollte mich in meinem eigenen Traum umdrehen, um nicht zu sehen, was ich da so träumte? Ich wollte aufbegehren. Stattdessen drehte ich mich ergeben um. Wenigstens war ich nicht mehr nackt, sondern trug ein seltsames Leibchen umgebunden, das notdürftig bedeckte, was nun wieder mir gehörte. Ich starrte in das Nichts, das ich nicht verstand, wartete und hörte die Adler schreien. Bis mein Wecker piepte.
Am nächsten Abend betrank ich mich vor dem Einschlafen. Vielleicht half es ja.
Es half, denn nun saß ich auf Brendan Frasers Schoss.
„Guten Abend“, sagte er und legte den Arm um mich.
„Endlich einmal“, erwiderte ich und kuschelte mich gegen seine muskulöse Brust.
Brendan Fraser trug ein hässliches ärmelloses Hemd und roch sehr gut.
„Es tut mir leid, dass Sie jede Nacht in meinem Traum herum sitzen müssen“, begann ich ein Gespräch.
Brendan Fraser seufzte ein bisschen.
„Wer sind Sie denn überhaupt?“, fragte er dann, ganz nah an meinem Gesicht, und ich wollte so sehr geküsst werden, dass es weh tat.
Warum ich ihm die Wahrheit sagte, weiß ich nicht. Ich hätte doch antworten können, ich sei eine interessante Wissenschaftlerin, eine wilde Abenteurerin oder großartige Schriftstellerin. Stattdessen nannte ich ihm meinen Vor- und Zunamen, mein wahres Alter und die Tatsache, dass ich alleinerziehende Mutter zweier Kinder sei und schon seit sehr langem keinen Sex mehr gehabt hatte. Noch während ich sprach, hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen.
Doch Brendan Fraser reagierte sehr freundlich, ignorierte den letzten Part und erzählte seinerseits eine Anekdote seiner Söhne. Er hatte drei. Und so saßen wir auf dem Stein, ich auf seinem Schoß in die Beuge seines starken Armes gekuschelt, und berichteten abwechselnd von unseren Kindern.
Als der Wecker piepte, hätte ich weinen mögen.
„Wissen Sie, ich frage mich langsam, was das hier eigentlich soll und wie wir wieder heraus kommen“, sagte Brendan Fraser beim nächsten Mal.
Wir standen an der Feuerwasserkante und schauten über den orangefarbenen Ozean. Aber es war doch gestern sehr nett, hätte ich am liebsten erwidert.
„Vielleicht müssen wir über diesen Ozean segeln, um aus dem Traum heraus zu kommen?“, schlug ich stattdessen vor.
Brendan Fraser schaute etwas unschlüssig die wilden Wogen entlang. Und während er darüber sinnierte, wie wir dem Ganzen entkommen könnten, schaute ich ihn unauffällig von der Seite an und wünschte mich in seinen Arm. Nichts passierte.
„Wissen Sie was? Ich glaube, das hier ist gar nicht mein Traum, sondern der Ihre.“
Brendan Fraser schaute mich überrascht an, sagte aber nichts. Darum fuhr ich fort.
„Am Anfang dachte ich ja auch, dass ich Sie in meinem Traum gefangen halten würde. Aber inzwischen glaube ich, es ist genau anders herum.“
„Aber das ist doch nicht logisch“, sagte Brendan Fraser. „Während Sie mich sicher schon einmal in irgendeinem Film gesehen haben, kenne ich Sie doch überhaupt gar nicht und habe Sie zuvor noch nie gesehen. Wie soll ich denn dann von Ihnen träumen können?“
Das hörte sich nicht schön an, war aber auch ein nicht von der Hand zu weisendes Argument. Trotzdem. Wäre das hier mein Traum, dann stünden wir sicherlich nicht ratlos an der Feuerwasserkante und wüssten nicht, was tun.
„Wissen Sie, wenn das hier mein Traum wäre, dann stünden wir sicherlich nicht ratlos an der Feuerwasserkante und wüssten nicht, was tun. Dann wäre auch die blonde Dame vorgestern nicht aufgetaucht, die Sie ja zu kennen schienen, und ich nicht. Außerdem hätte ich etwas Vorteilhafteres an und würde ganz andere Dinge sagen und Sie, Sie wären längst in mich verliebt oder hätten mich zumindest in die Arme gerissen und geküsst. Mindestens.“
„Ich verstehe, was Sie meinen“, murmelte Brendan Fraser.
„Vielleicht haben Sie mich ja doch schon einmal irgendwo gesehen?“
Ich wusste selber, wie unwahrscheinlich das klang. Brendan Fraser schaute mich aufmerksam an und versuchte nicht verletzend zu sein, als er antwortete:
„Ich hätte keine Idee ... wo.“
Ich zerbrach mir den Kopf.
„Sie drehten doch vor einem Jahr in der Schweiz, nicht wahr?“
„Ja.“
„Nun, ich arbeite hin und wieder als Werbemodell und in dem Jahr lachte ich von den Plakaten einer Schweizer Versicherung. Die hingen überall im Lande.“
Brendan Fraser schaute mich noch einmal sehr aufmerksam an und ich setzte mein Werbelachen auf.
„Ich erinnere mich. Da waren auch zwei Kinder mit auf dem Plakat, richtig?“
„Genau.“
Ich strahlte ihn an. Dass er dieses Plakat, dass er mein Gesicht so in Erinnerung behalten hatte, dass er sogar von mir träumte, war so wunderbar, dass ich hätte juchzen mögen.
„So ein Plakat hing gegenüber des Restaurants in dem wir oft aßen. Jemand hatte die beiden vorderen Schneidezähne schwarz und eine riesige Warze auf die Nase gemalt. Es sah sehr lustig aus.“
„Oh“, machte ich und fasste mir ängstlich an die Nase.
„Da ist nichts“, beruhigte mich Brendan Fraser. „Jetzt, nachdem das geklärt ist, muss ich mich wohl entschuldigen, dass ich Sie hier festhalte.“
„Ach, so schlimm finde ich es gar nicht“, sagte ich mit Schmelz.
Er lächelte wieder sein Lächeln und ich seufzte sehnsüchtig in mich hinein.
„Entschuldigen Sie bitte die blonde Dame vorgestern.“
„Ist schon in Ordnung“, sagte ich großzügig, obwohl es zum Heulen gewesen war.
„Ich habe meine Kamera dabei. Darf ich ein Foto von Ihnen machen? Zur Erinnerung“, fragte mich Brendan Fraser und ich nickte und posierte dann ein bisschen für ihn vor dem gelborangefarbenen Feuerozean. Der heiße Wind zauste in unseren Haaren und ich hätte mir so gern das kleine Leibchen vom Körper gerissen. Aber es war ja nicht mein Traum.
Als ich erwachte, hatte ich Tränen in den Augen. Und da wusste ich, ich würde Brendan Fraser nie mehr wieder sehen. Aber Brendan Fraser hatte von mir geträumt. Und vielleicht besaß er nun sogar einige Fotos von mir.