Guerilla Gardening

(Dieser Text erschien in leicht veränderter Form im P-Magazin)

Ich träumte, wir würden die Welt nebenbei doch noch retten, aus Versehen sozusagen. Denn „Öko“ ist modern und Bestandteil des Lifestyle der allgegenwärtigen Bourgeoisen Bohemiens (Bobos), die idealistisch, sanft, korrekt und kreativ das Leben angehen. Dieser Stil funktioniert sogar in billig, denn selbst Aldi bietet Bioprodukte und H&M fair gehandelte Ökobaumwollpullis. Da bleibt genug übrig für eine Bionade in der Lieblingsbar. Um dem Ganzen eine romantische Note zu verleihen, könnte man zum illegalen Guerilla werden und mit Unkrauthacke und Samenbomben bewaffnet den öden Flächen der Städte den „kleinen Krieg“ erklären. Dabei hat Guerilla Gardening einen ernsten Hintergrund und führt – ernsthaft betrieben – zu positiven Ergebnissen.

„Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört", mahnte der Naturphilosoph Jean-Jaques Rousseau im 18. JH in Bezug auf das Dilemma der Besitzlosen. In heutige Zahlen ausgedrückt bedeutet das: 15 % der Gesamtbevölkerung besitzen sämtliche Rechte über die 13,58 Millionen Hektar Landmasse unseres Planeten. Ein Umstand, der Milliarden Menschen eine Selbstversorgung unmöglich macht und sie hungernd und unterernährt zurück lässt. Wenn sich einige dagegen auflehnen und beginnen, dem Boden illegale Ernten abzuringen, dann zeigt das einen der motivierenden Aspekte des Guerilla Gardening – den Mangel. Einer der ersten dokumentierten Fälle dieser Art waren die „Digger“ um den verarmten Textilfabrikanten Winstanly, die 1649 in Surrey (England) auf ödem Land heimlich Gemüse anbauten. Manchmal wurden solche Aktionen von Städten legalisiert, besonders in Zeiten von Kriegen und großer Not. Unter dem Begriff „Urbane Landwirtschaft“ laufen heute erfolgreiche Projekte zum Beispiel auf Kuba, in Mexiko, Venezuela und Argentinien, die der armen Bevölkerung erlauben, in Gärten und auf Feldern auf öffentlichem städtischem Gebiet, Lebensmittel anzubauen.

1973 begann die Künstlerin Liz Christy mit der Anlage des ersten New Yorker Community Gardens. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff Guerilla Gardening das erste Mal verwendet. Die Grundstücks- und Immobilienpreise waren damals im Keller, Hausbesitzer und Stadt überließen ganze Viertel und ihre Bewohner sich selbst. Verfall und Verarmung waren eine Folge. Eine hohe Kriminalitätsrate eine andere. Auf einer vermüllten Brache begannen Liz und ihre Mitstreiter aufzuräumen, den Boden zu bearbeiten und Pflanzen und Samen zu setzen. Der so entstehende Garten erfüllte mehrere Zwecke: Selbstversorgung mit Obst und Gemüse der armen Anwohner, Verschönerung und Aufwertung des Viertels sowie eine physische und psychische Gesundung der Slumbewohner. Die aus der gemeinsamen Arbeit resultierende Identifikation mit dem Viertel und seinen Bewohnern führte sogar zu einem Sinken der kriminellen Übergriffe. Unter dem Motto „it´s your city – dig it!“ operieren die Erben Christy´s als Greenguerillas noch heute sehr erfolgreich.

In Europa tauchte der Begriff Guerilla Gardening im Jahr 2000 in den Medien auf, als während einer Demonstration von Globalisierungsgegnern eine Verkehrsinsel im Parliament Square umgegraben und bepflanzt wurde. Als nicht nachhaltige Eintagesaktion gilt sie aber nicht als tatsächliches Guerilla Gardening. Denn dazu gehört nicht nur das nächtliche Pflanzen, sondern auch die tägliche Pflege der illegalen Setzlinge.
Nachhaltigkeit ist eines der Stichworte des modernen Gartenkriegers. Am 23. Mai 2007 übertraf die Zahl der weltweiten Stadtbewohner das erste Mal die der Landbewohner. Der „ökologische Fußabdruck“ (ein von Wackernagel und Rees 1994 entwickeltes Konzept) von Städten verdeutlicht, dass wesentlich mehr Land und Ressourcen für deren Versorgung benötigt werden, als nachhaltig sind. So beträgt der „Fußabdruck“ eines jeden Bewohners von London 2,2 Hektar Land. Nachhaltig wären 1,8 Hektar. Diesen Verbrauch der Städte zu mindern, nennen viele der illegalen Gärtner als Grund für ihr Tun und legen emsig Kleinstbeete und Gartenanlagen auf vergessenen städtischen Brachen an oder bepflanzen und pflegen Baumringe. In Deutschland distanziert sich so mancher von ihnen jedoch vom Terminus Guerilla Gardener, erinnert der doch zu sehr an die Stadtguerilla der RAF und deren Terror der 70er und 80er Jahre.

Dass Gärtnern der Seele und dem Körper gut tut, das Erleben von Natur ein archaisches menschliches Bedürfnis und Kontemplation im Grünen unabdingbar für das Wohlbefinden ist, sind allgemein bekannte Thesen. Einem Menschen, der ohne die sinnliche Erfahrung mit Natur und Pflanzen lebt, mangelt es an einer wichtigen Voraussetzung für ganzheitliche Gesundheit. Gärtnern verschafft dem Körper Bewegung an der frischen Luft, sowie die haptische Berührung mit Erde und Grün. Sich selbst als Teil eines Ganzen wahrzunehmen, sich das Fitnessstudio zu sparen, nette Leute kennenzulernen und sich mit seinem Viertel zu identifizieren, sind Gründe, die junge und alte Menschen verbotenerweise und des Nachts Ödland von Müll befreien, Löcher graben, Unkraut jäten, Stecklinge setzen, volle Gieskannen verteilen und Samenbomben schmeißen lassen.
Ein Pionier der Szene, der Londoner Richard Reynolds, schrieb darüber ein Buch (Guerilla Gardening – Ein Botanisches Manifest), dessen gewollt kriegerischer Grundton vielleicht nicht jedermanns Sache ist, das aber einen guten Überblick über die Geschichte des Guerilla Gardening gibt sowie ein Handbuch für den praktizierenden Gärtner unter den schwierigen Bedingungen in den Städten (Wasserarmut, Versiegelung, giftige Böden, Abgase) darstellt.

Aber nicht nur Stadtteilverschönerung, Selbstversorgung, die Ertüchtigung von Körper und Geist und ein lebendiges Community Feeling sind Anreiz für Guerilla Gardener. Ein weniger nachhaltiges Pflanzen- und Naturergebnis, dafür aber dem Guerilla-Gedanken näher stehendes Gärtern, sind Protest- und Aufklärungsaktionen. In diesem Zusammenhang kann man auch die Pflanzungen der Globalisierungsgegenerin London sehen. Mit ähnlicher Motivation werden Disteln auf Golfplätze, Brennneseln in Parks von Vorstandsvorsitzenden oder Zwischensaaten natürlicher Arten auf genmanipulierten Maisfelder gesetzt. Manchmal werden politische Aussagen über ausgesäte Formen und Zeichen vermittelt, ein anderes Mal über die Symbolkraft der einzelnen Pflanzenarten.

Draußen lockt die Sonne und die Vögel künden vom nahenden Lenz. Beseelt von den Bildern glücklich lächelnder Berliner Baumringgärtner, auf der Suche nach öden Baumringen in meinem eigenen Viertel stoße ich auf eine ganz andere Dimension – auf, an Guerilla Gardening Maßstäben gemessen, riesige verwahrloste Vorgärten. Hier könnten Blumen blühen, Salat sprießen, Gurken ranken, hier könnte es duften, sättigen und summen. Aber kein Mensch interessiert sich für die Ödnis, immerhin braches Land, bereit, die verschiedensten Samen zu empfangen. Der romantische, subtil rebellische Moment in mir wird von Betroffenheit abgelöst. Hier sind wohl alle satt. Oder?