mein Lieblingswerk von Kienholz – "The Jesus Corner" – einfach poetisch, auch die Geschichte dazu
Das Schöne am Blog-Schreiben ist ja auch, dass niemand Professionalität erwartet. Dies ist mein persönliches Logbuch und ich bin kein Captain Kirk. Auch kein Kunstkritiker oder -historiker. Und doch schreibe ich gern über Kunst. Auch wenn das sicher hin und wieder dem Wissenden die Zehennägel kräuselt.
Die Kienholz-Ausstellung in der Schirn wird ab heute leider wieder eingepackt. Wie waren am Samstag dort, waren begeistert und blieben lang. Denn wenn der Grusel bei der Betrachtung jeder Assemblage in ihrer Gesamtheit langsam verklang, wenn ich der Aussage des Objekts selbst lang genug gehuldigt hatte, dann kam die Sachensucherein in mir durch. Und ach, was gab es da zu entdecken. Nicht verwunderlich bei den Werken eines Schrottkünstlers. Und während andere murmelten "Sieh an, sieh an, das Regierungsschiff, das untergehende, und hier nun also die schwarz-rot-gelben Glühbirnen, wegen des Bezugs", da entdeckte ich in der Menge des staunenden Volkes das kleine Püppchen im Häkelkleid mit Klapperaugen, und ach, die Holzfigur des Trinkenden, den meine Eltern gerade auf einem Antikmarkt gekauft und mir voll Stolz präsentiert hatten, weil einen davon haben wir schon ganz lange, der begleitete mich durch meine Kindheit, und ach, die Schäfchen, ob das ganz alte, oder doch schon welche von Schleich sind? So etwas eben.
Der älteren Dame unten auf dem Bild ging es 1966 in Los Angeles scheinbar ganz ähnlich. Will es mir doch dünken, als betrachtete sie gerade die Fotos auf dem Tischchen, statt des Kunstwerks.
A propos ältere Dame. Gestern wurde in der Kunsthalle des Heimatstädtchens die Ausstellung "Schlachtpunk" eröffnet. Wieso a propos ältere Dame?
Während da gestern also die Werke an den Wänden versuchten Anarchie, Tabubrüche, Revolution, allgemeine Verunsicherung, Unberechenbarkeit, Sex, Musik und Drogen zu veranschaulichen – obwohl, ist dies das richtige Wort? Versuchen Kunstwerke Dinge zu veranschaulichen? Womöglich noch dem Unwissenden? – also sagen wir – davon erzählten, lauschte ich den vielen, mir Ewigkeiten währenden, Vorträgen beanzugter Menschen mit folgendem Bild vor Augen: der fast kahle Kopf eines alten Mitbürgers, seitlich – ich muss fast sagen – beflügelt von riesigen Ohren, bildete den Vordergrund, rechts und links von einem Meer aus Grau und Krawattigem gesäumt. Im Hintergrund buhlte Helmut Middendorfs "Singer III" (1981) um Aufmerksamkeit. Schade, dass ich keine Kamera dabei hatte.
Ich hatte Hansa-Dosen und eine krachmachende Musikkapelle erwartet. Allein der Titel hatte da auf Einiges hoffen lassen. Und dann das! Diese ganzen Menschen mochten doch damals schon keinen Punk! Seltsam. Nun waren sie alle hier. Es war rappelvoll. Natürlich liefen auch einige in romantischer Erinnerung verfangen selig Lächelnde herum, heute schick und schnieke und irgendwann mal dabei gewesen – aber kein Punk. Was wohl die Herren Middendorf, Angermann, Oehlen und Kippenberger dazu gesagt hätten?
Wir überlegten uns dann Ausstellungskonzepte. Frau Herden, also ich, ausnahmsweise mal nicht ironisch oder gebrochen, sprach ganz direkt von schwarzen Wänden, einer stetig aufspielenden Live-Band, sobald jemand die Kunsthalle betrete, authentischen Gerüchen – man hätte ja beispielsweise Zwangsrauchen verordnen können – und dergleichen.
Ein Freund hatte die Idee der konsequenten Trennung. Also einer noch konsequenteren. Alles super steril – hier der Punk und dort – hinter der Glasscheibe – ihr, die ihr mal gucken wollt. "Ach schau doch mal Herbert, diese seltsamen dreckigen Leuten, die mit den komischen Frisuren, die haben auch was gemalt."
Ich lese mich wahrscheinlich böser, als ich es meine. Ich denke darüber auch noch einmal nach. Und vielleicht sind ja die Begleitveranstaltungen dann doch noch etwas näher dran. Am 15. März liest Thomas Meinecke. Musik gibt es dann auch. Ebenso am 27. April, wenn die Fehlfarben aufspielen.
Die Ausstellung, die sich aus der Dauerleihgabe "Tiefe Blicke" (im Hessischen Landesmuseum) bestückt, macht Spaß. Wenn man sich am Punk und der Malerei der 1980er Jahre erfreut.
Nachtrag:
Ich habe dann doch noch die fachliche Meinung des Galeristen Claus Netuschils eingeholt und veröffentliche sie im Sinne der Kunst:
"Bei der Kunst kann man geteilter Meinung sein. Die damaligen Wilden haben bewusst Kitsch mit einbezogen, zur Kunst geadelt. Es gibt Bilder, die zu dick auftragen, daneben gibt’s kraftvolle Bilder mit ungeheurer Intensität in ihrer malerischen Qualität, Bilder, vor denen man mit großen Augen steht und überwältigt ist von der Wucht und Stimmigkeit des Pinselduktus."