Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.
„Ordnung muss ein“, sagte ich und
schaute beunruhigt durch das Zimmer meines Sohnes. Es war in einem
Zustand, der für eine geistige Zerrüttung des Bewohners sorgen
musste. Doch der saß mittendrin und schaute sich einen Comic an.
„Sehr richtig, liebe Frau Mama“,
murmelte er unschuldig. „Ordnung ist eine Tugend.“
Ich schluckte. Das Kerlchen konnte kaum
lesen, hatte sich aber binnen kürzester Zeit den salbungsvollen
Sprachstil der Lustigen Taschenbücher zu eigen gemacht.
Meistens fand ich das niedlich. Aber nicht immer.
„Ich wollte sagen, dass du bitte dein
Zimmer aufräumen sollst“, formulierte ich noch einmal um.
„Warum?“, fragte das Kind ohne
aufzublicken.
„Hier kannst du doch gar nichts mehr
finden“, stellte ich fest. Leider zu unrecht.
„Das entspricht nicht der Wahrheit“,
meinte es. „Ich weiß genau, wo alles ist.“
„Dann weil es hier aussieht wie in
einem Schweinestall“, presste ich hervor.
„Das ist nicht nett für die
Schweine“, antwortete das geliebte Kind.
Ich schluckte erneut. Solche Sätze
waren der Grund, warum wir eine besondere Beratung aufgesucht hatten.
Schnell kam heraus, ich brauchte Hilfe. Zum Beispiel um mit solchen
Sätzen umgehen zu lernen. Außerdem hatte ich mich etwas verheddert
und versprochen, dass ich zukünftig und immer seinen Schreibtisch
ordentlich halten würde. Weil MIR das wichtig war, wie die Beraterin
lächelnd sagte.
Fassungslos betrachte ich den kleinen
Kerl, der noch immer seelenruhig in Entenhausen weilte. Kein Wunder.
Hier war ja auch kein Platz dafür. Mir fehlten die Worte.
„Räum´ auf. Sofort!“ Dann knallte
eine Tür.
„Ich muss ihn doch zur Ordnung
erziehen“, sprach ich kurz darauf über das Telefon mit meiner
Mutter.
„Das habe ich bei dir auch versucht“,
sagte sie. „Es war faszinierend. Du erschufst das größte Chaos um
dich herum. Aber wenn es dann mal krachte, hattest du dein Zimmer
innerhalb von zehn Minuten aufgeräumt. Aber im Grunde, bin ich wohl
gescheitert.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich
verärgert. „Ich bin ein ordentlicher Mensch. Eine äußere Ordnung
ist wichtig, wenn man kreativ und innerlich etwas ungeordnet ist.“
Ich schaute mich um. Na gut. Da gab es
einige Kramecken, die waren nicht wirklich ordentlich. Eigentlich
hätte es sie gar nicht geben dürfen. Auch vor den Büchern im
Regal, auf dem Schreibtisch, hinterm Schrank, unter meinem Bett ...
„Ich weiß genau, wo alles ist“,
knurrte ich und legte mit dem Lachen meiner Mutter im Ohr auf.
Eine halbe Stunde später öffnete ich
die Tür wieder. Dann schluckte ich ein drittes Mal. Unberührtes
Inferno. Mein Söhnchen stand vor seinem überladenden Schreibtisch.
„Schatz, ich hatte doch gesagt ...“
Strahlend drehte er sich zu mir.
„Ich habe aufgeräumt. Guck, Mama.“
Vor ihm, inmitten des Durcheinanders,
lagen einige Stiftstummel, Radiergummis, Büroklammern, Zettel,
Murmeln, kleine Plastikfiguren und etwas Undefinierbares (Kaugummi?
Brotkrumen? Knetenreste?) nach Größe, Farbe und Form sortiert.
Gerührt betrachtete ich diesen Flecken Akkuratesse im Chaos. Es
würde alles gut werden. Irgendwie.