Donnerstag, 26. November 2015

„Liebstes Mannerl, Vati liebster, sei recht innig geküsst, Deine kleine Mutti und Ursula!“ – Leider eine Kriegsgeschichte


Heute möchte ich hier eine traurige Geschichte sich selbst erzählen lassen. Sie hat mich gesucht oder ich habe sie gefunden, weil sie wichtig ist und nicht vergessen werden darf. Obwohl sie eine Geschichte der Liebe hätte sein wollen, ist sie eine des Krieges geworden.

Vor etwa zwei Jahren fand ich auf dem Sperrmüll eine flache Zigarrenkiste. Ich warf nur einen kurzen Blick hinein, erkannte Briefe und alte Dokumente und barg sie wie einen Schatz. Zuhause tobte das Leben und ich vergaß die Kiste an einem sicheren Ort. Letztens fiel sie mir wieder in die Hände. Es war Zeit, Zeit für mich, ihre Geschichte zu erfahren, Zeit diese Geschichte weiterzugeben.
Ich saß zwei Stunden auf dem Sofa, entzifferte die Briefe und weinte. Der letzte Zettel, der mir in die Hände fiel, ließ mich gar laut aufschluchzen. Ich stelle ihn an letzte Stelle, auch wenn er Wally früher erreichte.

Ich lasse diese Geschichte sich selbst anhand der Dokumente und einigen Ausschnitten aus den Briefen, die Wally an ihren Erich schrieb, erzählen.
Ich weiß nicht, ob es nötig war, aber ich habe die Nachnamen unkenntlich gemacht. Zwar lagen diese Leben auf dem Sperrmüll, aber vielleicht hatte das auch Gründe, die man verstehen könnte.


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Liebster Vati, mein geliebtes Mannerl!

Karlsbad, 4. Februar 1945
„... Mit der Postzustellung nach Dir hin ist es ja furchtbar. Hat Mutti doch am 16.1. schon ein Telegramm an Dich aufgegeben und wie ich aus deinem (letzten) Brief ersehe, hast Du noch immer keine Nachricht. Nun wird morgen Dein Töchterchen schon 4 Wochen alt ... Als ich von Dir nun wieder eine Zeit keine Post hatte, machte ich mir auch schon Gedanken, was wohl los sei. Kommen doch nach dort auch oft die Flieger und dann durch die ganze Lage dachte ich schon, ihr wärd weggekommen. Das ist auch nun noch meine Sorge, dass das vielleicht der Fall sein könnte ... Ich möchte unseren Vati nur recht bald in die Arme nehmen. Und dann sollst Du ja auch unser Kindlein bewundern ... Wenn es nur erst ein Ende hätte mit dem Krieg ... Immer das getrennt sein vom Liebsten wird halt mit der Zeit doch schwer ...“

Karlsbad, 5. Februar 1945
„... Heute setze ich an den Anfang meines Briefes wieder eine Nummer, da ja vorerst doch nicht die Möglichkeit besteht, dass wir uns bald wiedersehen werden ... Mich traf ja heute fast der Schlag, als ich aus Deinem Brief No.19 ersehen musste, dass eure Kompanie aufgelöst ist. Der Brief No.18 fehlt nämlich bis heute noch, in dem Du mir das wohl schon angedeutet hattest. Auch muss in dem Brief Genaueres drinnen stehen über die erste Nachricht, die Du von mir bekamst, dass wir ein Mädel haben. Ich war doch so neugierig, wie Du diese Nachricht wohl aufnimmst und nun fehlt gerade dieser Brief. Ach überhaupt, es macht alles keinen Spaß mehr, man kommt aus den Aufregungen nicht heraus ... Wo wird man Dich nun hinstecken und wann werden wir uns jetzt wohl wiedersehen? Es ist furchtbar. Ich darf gar nicht daran denken, sonst könnte ich wieder anfangen zu weinen. Ja Mannerl, bei mir sind in letzter Zeit schon eine Menge Tränen geflossen, teils Freudentränen aber auch eine Menge sehr sehr bittere Tränen. Ich will Dir nun in diesem Brief alles etwas genauer berichten, das Freudige aber auch das Schlechte ... bist doch mein Mann und sollst Freud und Leid mit mir tragen ... ... Die großen blauen Augen, die vielen schwarzen Haar, das kleine Näschen, alles war so herzig und was mich am meisten glücklich machte, sie sieht Dir mein Liebster so sehr ähnlich ... Du hättest bestimmt auch sehr viel Freude an Deinem Töchterlein. Dass Du aber nicht auf das Telegramm hin Urlaub bekamst, verstehe ich gar nicht. Der S. aus der Schulgasse hat gleich Urlaub bekommen, als er die Nachricht erhielt, dass seine Frau entbunden hat. Männi, soviel ich gehört habe, von Frauen, die schon mal ein Kind hatten und bei mir im Krankenhaus lagen, soll für den Mann der (Damm)Schnitt und das Nähen bei der Frau nur zum Vorteil sein. Mal sehen, was Du sagst. Ich werde mal die Daumen drücken, vielleicht kommst Du doch noch ... Männi, mein liebstes, wie froh wäre ich, wenn Du bei mir wärst ...“

Karlsbad, 9. Februar 1945
„... unser Vati kann auch stolz auf sein Mädel sein, es ist so ein herziges Kerlchen, munter ist sie immer und lachen kann sie auch schon tüchtig. Wenn sich Vater über sie beugt, dann packt sie ihn gleich am Bart ... ... es ist wirklich so, jetzt wo sich das Köpfchen erst richtig formt, merkt man es ganz besonders. Zwar hast Du recht Mannerl, auch ich bin dunkel in der Haarfarbe, aber das Gesichtchen ist doch mehr Deines. Ja Vati, kannst es halt nicht abstreiten, dass Du es warst ... Es ist doch ein herrliches Gefühl, Mutter zu sein, für so ein kleines Menschenkind da zu sein. Geht es Dir auch so, Mannerl? Hast halt gar zu wenig jetzt von der Kleinen und so lange Du sie nicht gesehen hast, merkst Du doch eigentlich gar nicht, dass Du Vati bist, hm? Ja, daran darf ich gar nicht denken, dass es wohl Monate dauert bis wir uns wiedersehen, dann ist unser Kleines schon groß. Es ist halt doch schwer, das grosse Glück ganz alleine zu genießen ... Ja, wer hätte das gedacht, dass Eure Kompanie mal ganz aufgelöst wird. Aber in 24 Studnen kann halt vieles geschehen. Hätten die Russen nicht noch warten können, bis Du Deine Reise hinter Dir gehabt hättest? ... Hoffentlich fällt in diesem Jahr noch die Entscheidung, denn so kann es auf keinen Fall weitergehen. Wenn es aber auch nur gut ausfällt ... jammern und klagen hilft halt nichts, es heißt mal wieder tapfer sein und sich als Deine Frau tapfer zeigen ... Ist doch nun so vieles gut gegangen, wird auch diese Zeit vorübergehen, sodass wir uns dann wieder herzlich in die Arme nehmen können. Der Angriff ging gut vorüber trotz meinem damaligen Zustand, auch die Geburt ging gut, also wird die kommende Zeit auch gut vorüber gehen. Wenn ich denke, wie manche Frau bei der Geburt ihres Kindes ihr Leben lassen musste. Noch als ich im Entbindungszimmer lag, lag auf dem Bett neben mir eine junge Frau von 25 Jahren, die musste dann auch sterben. Es ist schon so, mit einem Bein steht man bei einer Entbindung immer im Grab ... Als ich heute mit Ursula spazieren ging, traf ich Dr. Konrad, ich habe ihn dann gefragt, wann ich mit meinem Kindlein wohl reisen kann. Er sagte mir, mit 8 Wochen könne ich schon fahren ... Heute kam auch die Kiste an, über das Bügeleisen habe ich mich riesig gefreut, hab doch ein liebes Mannerl, das für zu Hause sorgt. Das Eisen ist aber noch sehr schön. Ich habe es geputzt und nun sieht es aus wie neu ... Was macht die Radioröhre? ...“

Beerfelden, 4. März 1945
„... Meine Gedanken weilen immerzu bei Dir, aber ich weiß nicht, wo ich Dich suchen soll ... Ende des Monats ist es ja auch 1 Jahr seit Deinem letzten Urlaub, ausgenommen der Bombenurlaub ... Was kann sich doch in einem Jahr alles ändern. Ich darf manchmal gar nicht nachdenken ... Nun habe ich ja unseren kleinen Spatz, der bringt mir sehr viel Zerstreuung ... Männi, was hättest Du nun schon für eine Freude mit ihr! ... ... Ernestine war heute Nachmittag auch hier und hat sich Ursula einmal angesehen. Sie hat geweint, als sie unser Kleines sah. Sie hätte doch auch so gerne ein Kindlein. Heinz aber ist nicht dazu zu bewegen zum Arzt zu gehen ... Ich kann ihn mir überhaupt nicht vorstellen mit einer Frau zusammen. Für mich wäre er jedenfalls kein Mann, er erscheint mir so Mädchenhaft. Ich bin mit meinem Strolch zufrieden und bin froh, dass ich ihn habe ... ... Ja, wann wird unser Vati sein Kindlein im Arm halten können? ...“


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Samstag, 14. November 2015

Die Mutter-Kolumne: Wenn, dann richtig – Verbieten

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich?

Mir macht diese Kolumne riesigen Spaß und sie fällt mir auch nicht besonders schwer, denn ich kann einfach nur aus meinem Leben mit meinen Kindern erzählen. Irgendwie haben wir nämlich meistens alles etwas anders gemacht, als man es gemeinhin so macht.

Seit der Oktoberausgabe 2015 also in der eltern.family und immer um einen Monat versetzt auch hier. Viel Freude damit!


„Komm da bitte runter, Schatz“, forderte ich in bemüht ruhigem Ton.
„Nö“, antwortete das Kind kurz und knapp.
Ich versuchte, nicht zu schnauben. „Du kommst da bitte runter.“
„Warum?“, fragte das auf der Mauer hockende Kerlchen.
„Weil ich dir verbiete, da oben herumzuklettern“, sagte ich und kam mir etwas albern vor.
„Warum?“, fragte es auch prompt.

Ja, warum eigentlich? So hoch war diese Bruchsteinmauer tatsächlich nicht. Ein Sturz auf den von Brennnesseln überwucherten Kies hätte eher eine wichtige Erfahrung denn eine schlimme Verletzung zur Folge gehabt. Allerdings hatte ich begonnen, aus weiser Voraussicht ein Verbot auszusprechen. Das musste ich nun hieb- und stichfest begründen, damit mein Kind verstand, dass es in Gefahr schwebte und ich ihm nicht nur den Spaß verderben wollte.
„Weil das gefährlich ist. Weil du da runterfallen und dich verletzen kannst“, erklärte ich und beobachtete mit klopfendem Herzen den auf dem bröckligen Sims unsicher wackelnden Spross.
„Ich passe auf“, tönte der.
„Ich möchte aber, dass du da runter kommst“, wiederholte ich drängend.
„Und ich will oben bleiben. Du hast Angst. Ich nicht“, krähte das Kind, richtete sich zu seinen vollen Einsdreiundzwanzig auf und stolperte auf seinem schmalen unebenen Weg voran.
Ich schnappte nach Luft.

In der Zwischenzeit war ein anderes Kind dem Beispiel gefolgt.
„Runter da, Dennis!“, schallte es kurz und knapp.
Klein Dennis ließ sich ratzfatz wieder von der Mauer gleiten. Dabei warf er dem in luftiger Höhe munter Voranstürmenden einen neidisch-sehnsüchtigen Blick nach. Dann schaute er finster zur so barsch verbietenden Mutter. Ich auch. Wie die mit ihrem Kind sprach, ohne jeder Erklärung!
„Diskutiert wird bei uns nicht“, ließ mich die resolute Frau wissen, als hätte sie meine Gedanken lesen können.
„Na ja –“, begann ich.
Mein 7-Jähriger unterbrach mich jedoch, weil er schreiend von der Mauer fiel.

Etwas später saßen wir im Wartezimmer.
„Tut überhaupt nicht weh“, presste der Kleine hervor.
„Ich weiß“, sagte ich und strich ihm über die tränenverschmierten Wangen. Der Schmerz der aufgeschlagenen Knie und blutenden Hände war sicher auszuhalten. Aber weh hatte das Herunterfallen dennoch getan. Irgendwo tief in der kleinen Brust hockte nun ein raunender Schatten: Du hast das nicht geschafft, du bist gescheitert.
Ich atmete tief durch und überwand meine Angst. „Wirst du es morgen noch einmal probieren?“, fragte ich leise.
„Nee, morgen nicht“, sagte das Kind und schnüffelte. „Aber übermorgen. Weißt du, es ist nicht soooo gefährlich.“
Ich nickte beklommen.
Mein Sohn schaute zu mir hoch. „Aber bei echter Gefahr, wenn so eine Mauer richtig hoch ist, Mama, dann musst du es mir auch richtig verbieten“, sagte er mit gewichtiger Stimme. „Ohne Bitte und Schatz und die ganzen Erklärungen.“
„Würdest du denn wie dieser Dennis einfach herunterkommen?“, fragte ich.
Das Kind überlegte. „Mhm, wenn du immer nur Sachen verbieten würdest, die ganz wirklich gefährlich sind, dann ja.“
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, wurde mein Kind ins Arztzimmer gerufen. Erschüttert schaute ich ihm nach. Wie klug es war. Geradezu unheimlich.