Montag, 15. Februar 2016

Die Mutter-Kolumne – Förderung auf Teufel komm raus?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich?


Kinder müssen unbedingt gefördert werden! – Wirklich?

Manch Schwangere hört spanische Deklinationsreihen oder sitzt als Gasthörerin in Vorlesungen für angewandte Mathematik. Davon möchte ich nicht schreiben. Nein, für mich begann alles mit PEKIP. Lange wusste ich nicht, was das ist. Die Selbstverständlichkeit mit der andere Mütter davon sprachen, schien ein Nachfragen schlicht zu verbieten. Erst als ich mit meinem Baby durch die Welt reisend, jenes längst auf Wiesen und Stränden abgelegt, es vom Gras kitzeln und vom Wind liebkosten lassen hatte, erfuhr ich, dass andere Mütter ihre Kleinen in Gruppen zwischen Luftballons und Seidentücher platzierten, während sie sie mit Pfauenfedern streichelten. Ich fand das befremdlich, sie ließen jedoch Worte wie Förderung und Verantwortung fallen.

Hatte ich also mit dem nigelnagelneuen Kind schon alles falsch gemacht? Erschüttert blätterte ich durch Kataloge unzähliger Kurse, Gruppen und Schulen, die alle nur das Beste aus meinem Kind herausfördern wollten. Tapfer versuchte ich, den stetig wachsenden Druck zu ignorieren.

Doch dann meldete ich das 4-jährige Töchterchen in der Berlitz School an. Das lag allerdings an der englischsprechenden Verwandtschaft, die den teuren Kurs auch finanzierte. Einge Monate lang brachte ich das süße Wesen mittwochs zum spielerischen Sprachkurs. Als Erinnerung daran blieb uns ein anglophiles Kuscheltier, ein weiteres Wort Englisch hörte ich mein Kind jedoch nicht sprechen. Dabei war ihr erstes so eines gewesen. „More.“ Damals ging es um Kartoffelbrei und die Frage der fütternden Granny „Do you want more?“

Später saß ich mit dem neuen Kind donnerstags hinter einer Scheibe und sah dem Töchterchen im Tutu zu. Bis das Brüderchen vehemment forderte, auch „ballettern“ zu wollen. Die gestrenge Lehrerin erteilte die Erlaubnis, was der Kleine mit einer derart juchzenden Begeisterung tat, dass er den Saal nach zehn Minuten Glückseligkeit wieder verlassen musste. Er weinte bitterlich und begehrte niemals wieder zu tanzen. Auch die Tanzkarriere seiner Schwester erfuhr durch die bedauernden Worte der Lehrerin, sie sei einfach zu groß dafür, ein apruptes Ende. Es brach unser aller Herz. Wir gingen nach Hause und tanzten wild im Wohnzimmer herum.

In denkwürdiger Erinnerung wird mir auch das Jahresabschlusskonzert der ungeliebten Gitarrenklimpereinheiten meiner Kinder bleiben. Die riesige Gitarre im Arm saß mein Sohn auf einem der im hinteren Bereich der Bühne aufgestellten Stühle und harrte seines Auftritts. Davor gab sich ein Teenager alle Mühe, gemeinsam mit der Musiklehrein einen aktuellen Hit noch höher zu singen als die letzte Casting Show Kandidatin. Plötzlich begann mein Kind völlig selbstvergessen, quasi im Playback eine leidenschaftliche Opernsängerin darzustellen. Dass das Publikum lachen musste und der singende Teenager samt begleitender Lehrerin immer verzweifelter wurde, macht diese Geschichte zu einer dramatischen. Ich schämte mich etwas, doch größer war die Erkenntnis, dass mein Sohn zum Schauspieler geboren war.

Das werde ich allerdings nicht fördern, das wird ihm passieren. Und vielleicht schreibt seine Schwester mal ein Stück für ihn. Dass sie gute Poesie zu Papier bringt, hat sie nämlich zwischenzeitlich ganz alleine herausgefunden.

Samstag, 6. Februar 2016

Regretting Motherhood? – Niemals!

Zwei Ereignisse innerhalb zweier Tage brachten mich zum Nachdenken. Wenn ich etwas bedenke, muss ich es aufschreiben. So entsteht so mancher befindliche Text. Meistens veröffentliche ich diese auf meiner Autorenseite. Dort rutscht es jedoch schnell ins Vergessen, darum also hier noch einmal. (Ich möchte mich disziplinieren, das immer zu tun. Ehrlich gesagt, habe ich durch die Autorenseite meinen Blog etwas vernachlässigt. Schade, denn nicht jeder ist im Facebook vertreten. Ich gelobe Besserung.)



„Mama, wie oft hast du eigentlich bereut, dass du uns geboren hast?“, fragte mein Sohn vor einigen Tagen.
Ich dachte, mein Herz würde brechen. „Wie kommst du denn auf so was?“, rief ich verstört. „Noch nie! Ich habe es noch nie bereut, dass es euch beide gibt.“
„Aber es gibt doch Momente, wo man bedauert, Kinder zu haben, oder? Also manchmal, da hast du dich echt so angehört“, hakte mein Sohn nach.
Mir wurde ganz elend. „Klar, es gab manch schwierigen Augenblick“, gab ich zu. „Ihr habt mich angekotzt und angepinkelt, mir den Schlaf geraubt, mich bloßgestellt, ihr habt mich die Haare raufen lassen, bis sie ausfielen, mir Sorgen bereitet und mich in Angst und Schrecken versetzt, ihr habt mich zur Putzfrau, zur Köchin und Hinterherräumerin, zum Geldbeutel, zum Müllmann, zum Bulldozerfahrer, zur hilflosen Therapeutin und zu einem geifernden Etwas gemacht, das ich selbst am allermeisten verabscheute. Doch immer liebte ich euch wie verrückt und hätte mir ein Leben ohne euch nicht vorstellen mögen.“
„Dann ist es ja gut“, sagte mein Sohn. 
Gestern sah ich eine Fernsehsendung, in der eine Frau saß, die ein Buch darüber geschrieben hat, dass sie und auch andere die eingegangene Mutterschaft ganz klar bereuten. Es schien also einen gesellschaftlichen Trend zum Thema zu geben, Regretting Motherhood genannt. Dieser begann im letzten Jahr mit einer Studie der israelischen Soziologin Orna Dornath, in der sich zwei Dutzend Mütter über ihre Mutterschaft bitterlich beklagten (Moment mal, zwei Dutzend? Darf man das überhaupt Studie nennen? Ich weiß, ich werde gerade unsachlich, doch dies hier ist auch kein sachlicher Text). Irgendwie war das Ganze bisher unbemerkt an mir vorübergegangen, aber scheinbar hatte meinen Sohn ein Luftzug davon gestreift.
Mir fiel zu dieser Fernsehdiskussion nicht viel ein, eigentlich überhaupt nichts. Ich gebe zu, meine Emotionen hatten die Oberhand übernommen und fassungslos betrachtete ich die Dame.
Keine Frau muss, wenn sie das nicht möchte, ein Kind bekommen. Warum sich manche dennoch unter solcherlei Druck fühlen, ist mir ehrlich gesagt unverständlich, und meiner Meinung nach, eher individuell denn gesellschaftlich bedingt.
Ein Kind zu bekommen, ist die größte Entscheidung des Lebens. Keine andere ist größer, denn sie ist die einzige, die nicht umkehrbar ist. Dafür sollte man sich dann auch schon etwas Zeit nehmen, im Vorfeld darüber nachzudenken.
„Da müssen Sie jetzt einfach durch“, sagte auch eine ältere Politikerin der Dame.
Hätte von mir sein können. Und noch: Bitte mit Respekt dem Kind gegenüber. Schöner wäre es jedoch mit Liebe. Dass sie diese für ihr Kind empfände, darauf verwies die Dame immer wieder beinahe flehentlich. Mir blieb unklar, welch Definition sie für die Liebe hat.
„Das arme Kind, das mit einer Mutter aufwächst, die ein Buch darüber schrieb, dass sie es bereue, ein Kind bekommen zu haben“, sagte auch meine Tochter zum Thema.
Gerade in der Pubertät denken das die Kinder doch sowieso: Dass sie ungewollt sind. Weil die Bude wackelt, weil gestritten, gemeckert, gezofft und geschrieen wird. Weil die Heranwachsenden nicht wissen, wo sie hingehören, weil sie sich selbst gerade verloren haben, eher einen abgehalfterten Rockstar, einen ausgewanderten Nordpolreisenden oder gar Aliens als wahre Eltern akzeptieren können, als diese Personen, die zwar in derselben Wohnung leben, aber nur dazu da zu sein scheinen, sie in den Wahnsinn zu treiben und bei allem zu stören.
Das dachte (und denke) ich übrigens auch in diesen Zeiten. Denn wenn sich plötzlich die geliebten herzigen Kleinen, die sich einst mit einem riesigen Strahlen im Gesicht, juchzend in meine Arme schmissen und mich unendlich liebten, in Wesen verwandeln, die maulend, grummelnd oder schreiend durch manche Tage schlurfen und durch andere rasen, aber dabei immer eine Spur der Verwüstung hinter sich lassen, nimmt einem das schon mal den Atem. Also ehrlich gesagt, ist es richtig furchtbar. Doch da muss man dann eben auch durch. Man hat ja schon gehört, es ginge vorüber. Und: Man überlebt es.
Getragen von der Liebe, watet man tapfer durch den zähen Morast dieser düsteren Jahre. Auf der anderen Seite kann man sich dann in die Arme fallen, froh es geschafft zu haben, ausruhen und erst mal etwas trinken. Zusammen. Vielleicht im Sonnenschein.
Nicht eine Sekunde, mein Sohn. Nicht eine Sekunde.

Nachtrag: Da dieser Text (auf der Facebookseite) auf so viel Resonanz stößt und auch Fragen und Kritiken aufwirft, möchte ich noch einen Kommentar dazu abgeben. Meine Worte sind aus dem Herzen geschrieben. Ich lebe in einer Gesellschaft, deren Werte auf dem Christentum basieren, in der ich aber die Freiheit habe, mir meinen eigenen Weg zu suchen. Ich habe in meinem Text sicher (auch) die Position eines Kindes eingenommen, das vielleicht nicht in der Lage ist, sich objektiv mit der Tatsache auseinander zu setzen, dass seine Mutter die Mutterschaft bereut, ohne das auf sich zu beziehen. Ich denke, dass die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, sehr durchdacht sein muss. Man muss sich die Frage stellen, schaffe ich das (im Zweifelsfall auch alleine) oder nicht. Wie die Welt, wie die Gesellschaft aussieht, in der ich lebe, darf mir keine Überraschung dabei sein, das gehört quasi zur Recherche. Wenn ich diese Frage nicht eindeutig mit ja beantworten kann, dann ist das zumindest einen Moment des Zögerns wert. Denn ich bin letztlich verantwortlich für ein kleines und größer werdendes Leben. Ich selbst war und bin alleinerziehend. Dabei möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass diese 17 Jahre 2 x 3 Jahre lang von wunderbaren Männern begleitet wurde. Trotzdem musste ich diesen Weg letztlich alleine gehen, von Anfang an. Dass ich nicht jede Facette meiner Persönlichkeit ausleben, mir nicht jeden eigenen Wunsch erfüllen konnte, ist "part of the game". Das habe ich gerne gegeben.