Sonntag, 16. Oktober 2016

Die Mutter-Kolumne – Der Klügere gibt nach

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.


Manchmal sagt man etwas und denkt im selben Moment: „Das war unklug, sie werden das bestimmt irgendwann benutzen, um mich irgendetwas lehren zu wollen.“ 
Doch gerade hatten sie dermaßen laut über etwas sehr Kleines gestritten, dass mir jener Satz entschlüpft war. „Der Klügere gibt nach.“ 
Erstaunlicherweise schien er zu wirken, denn mit einem Mal war es mucksmäuschen still im Kinderzimmer. Erleichtert wandt ich mich meinen Dingen zu.
„Was soll das bedeuten?“, trompetete es dort hinein.
In großer Neugierde vereint schaute mich das Geschwisterpärchen fragend an.
„Das bedeutet, dass sich ein kluger Mensch nicht streitet.“
„Warum nicht?“, wollte das Töchterchen wissen.
„Weil es Zeitverschwendung ist“, sagte ich.
„Und wenn man recht hat und der andere nicht?“, krähte das Söhnchen.
„Dann weiß das der Klügere und freut sich darüber im Stillen. Es ist ihm egal, ob der andere das auch weiß.“
Die beiden schauten aneinander finster an. Für eine stille Freude waren sie nicht bereit. 
„Pöh!“, machte das Töchterchen. „Ich habe trotzdem recht.“
„Das stimmt nicht!“, schrie ihr kleiner Bruder. 
Dann ging es wieder los mit Getrampel, Gebrüll und Türenknallen. 
„Weiß noch irgendwer von euch, worüber ihr überhaupt streitet?“, rief ich dazwischen.
„Nein!“, kam es zurück. „Aber ich habe recht!“
„Und ich habe noch viel rechter!“
„So ein Wort gibt es nicht!“
„Gibt es wohl! Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsch´mir NICHT meine Schwester her!“
Seufzend setzte ich mir die Ohrenschützer auf, die ich mir einst im Baumarkt gekauft hatte und die für ganz besondere Fälle parat lagen.
Eine halbe Stunde später wagte ich, sie wieder abzusetzen. Himmlische Ruhe lag über unserer Bude. Als ich ins Kinderzimmer spähte, hockten sie tief versunken inmitten einer Minipüppchenwelt auf dem Teppich. 

Einige Tage später standen wir im Supermarkt an der Kasse. Obwohl sie die fiesen Tricks der Supermarktbesitzer längst verstanden hatten, fielen meine Kinder je nach Tagesform und Wageninhalt immer mal wieder darauf herein. So wie an diesem Tag, als die Schlange im Gang mit den Süßigkeiten endete.
„Ich will Gummibärchen“, rief das Söhnchen und griff danach.
„Leg die Gummibärchen bitte wieder zurück. Wir haben zuhause noch welche.“
„Ich will aber jetzt welche!“
Ich denke, der Verlauf der nächsten Minuten ist sicher wohlbekannt.
Irgendwann gab es keine Schlange mehr, irgendwann gab es überhaupt gar keinen Kunden mehr im Laden. Die Kassiererin schmökerte entspannt in einer Illustrierten. Das Söhnchen war bis zum Joghurtregal zurückgewichen, warf mir böse Blicke zu und hielt die verbotene Tüte Gummibärchen hinterm Rücken verborgen.
„Immer sagst du, du bist eine kluge Mama“, fauchte es mich an. „Willst du nicht endlich damit anfangen?“
„Wie meinst du das?“, fragte ich irritiert.
Genervt verdrehte das Kerlchen die Augen. „Oh, Mama!“, stöhnte es. „Du bist jetzt einfach mal klug, wir bezahlen und können nach Hause gehen.“
„Was ist mit den Gummibärchen?“, fragte ich.

„Das ist doch ganz klar“, sagte der Kleine. „Wenn du endlich klug bist, gehören die natürlich mir.“