Donnerstag, 24. November 2016

Die Mutter-Kolumne – Sag Danke!

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.


„Du musst danke sagen“, raunte das Töchterchen ihrem Bruder zu.
Mir hatte das ebenfalls auf der Zunge gelegen, obwohl ich wusste, dass mein Sohn Hustenbonbons nicht mag. Ein solches hatte ihm aber gerade eine ältere Dame zugesteckt.
„Danke“, knurrte das Söhnchen. „Das kannst du aber behalten. Das schmeckt nicht.“
„Unverschämtheit“, zischelte die Dame beleidigt.
Das Töchterchen kicherte.
„Warum muss ich danke sagen, wenn ich was kriege, was ich gar nicht haben will?“, fragte mein Sohn.
„Man muss immer danke sagen, wenn man etwas geschenkt bekommt“, erklärte seine Schwester.
„Warum?“, fragte mein Sohn.
„So zeigt man dem anderen, dass man sich freut, weil der an einen gedacht hat“, versuchte ich mal wieder in einen Satz zu stecken, was eigentlich von rotem Wein begleitetes Philosophieren gefordert hätte.
„Wegen der guten Absicht, stimmt´s?“, meinte das Töchterchen.
„Mhm“, machte ich nachdenklich.
„Aber vielleicht mag die Frau selbst keine Hustenbonbons und hat es mir nur gegeben, damit sie es los ist“, wandte mein Sohn ein.

Diesen Gedanken hatte ich in anderen Situationen auch schon des öfteren. Auf dem Dachboden häuften sich alte Bücher, Nippes und unsinniger Küchenkram, den mir liebe Menschen geschenkt hatten, weil sie der Meinung waren, ich könnte das alles gut gebrauchen. Ich hatte immer brav danke gesagt und werde eines Tages ein ernstzunehmendes Entsorgungsproblem haben.
Dabei gab es einiges, was ich tatsächlich gerne gehabt hätte. Das hatte ich auch formuliert, diese Dinge aber nie bekommen. Wenn ich ehrlich war, traf diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit auch auf ganz anderes im Leben zu. Männer zum Beispiel.
Darum seufzte ich leise, als wir die Metzgerei betraten.
„Nehmt eine Wurst“, forderte die Fleischthekenfachkraft und wedelte bedrohlich mit einem langen Messer, an dessen Spitze zwei dünne Scheiben Wurst baumelten.
Das Töchterchen griff beherzt zu.
„Danke schön“, trompetete es genüsslich kauend.
„Hilfe“, flüsterte mein Sohn.
Er mag nur Wurst mit einem Bärchen darauf, doch die Frau stieß gnadenlos ihr Messer in seine Richtung. Ergeben nahm der Kleine die Scheibe und stopfte sie in seine Hosentasche zu den billigen Kaubonbons vom Bäcker.
„Das gibt es ja gar nicht!“, ereiferte sich die Verkäuferin. „Andere Kinder auf der Welt verhungern. Du solltest dankbar sein für die geschenkte Wurst.“
Da platzte meinem Spross der Kragen.
„Aber ich bin doch dankbar!“, schrie er. „Weil ich genug zu essen habe und das neue Lego Starwars kriege. Weil Frau Müller erlaubt, dass ich mein großes Kuschelkissen mit in den Kindergarten bringe. Weil wir nicht unter einer Brücke wohnen müssen und das Monster unterm Bett wieder ausgezogen ist.“
„Und weil Mama uns lieb hat“, quakte sein Schwesterherz dazwischen.
„Und weil Mama uns lieb hat“, rief das Söhnchen. „Aber ich will keine gelbe Wurst. Die ist eklig.“
Ich strahlte in die Runde. Solche wunderbaren Kinder, dachte ich voller Dankbarkeit.

Dienstag, 22. November 2016

Lest (das)! Bitte!

Zurück von meiner Herbstlesetour kreuzen mir Gedanken und Eindrücke durch den Kopf, die ich gerne einmal aufschreiben möchte. Viel zu lang und unsortiert, aber wenigstens formuliert. Sorry, ich platze sonst.
Ich sprach in den letzten drei Wochen mit Hunderten von Kindern, vielen Lehrern und Bibliothekarinnen und muss sagen: Ich mache mir Sorgen. 
Egal wie oft wir Kinderbuchautoren hier über begeisterte Zuhörer jubeln, ich habe den Eindruck, kaum ein Kind liest. Natürlich gibt es noch Bücherwürmer, Leseratten und Geschichtenverschlinger. Darum ja auch das „kaum“. 
(Ich möchte hier nicht über Lesekompetenz gleich Lebenskompetenz schreiben, nicht über Sprachentwicklung, Wortschatz und Eloquenz. Weder über Allgemeinbildung noch die Ausprägung von Kreativität und das Finden von Lösungsansätzen bei allerhand Problemen. Also nicht über die unbedingte Notwendigkeit des Lesens. Unabhängig von Spaß, Spannung, Freude, Erlebnis, Langeweile besiegen und meinetwegen auch der manchmal blöden Alltagswelt entfliehen.)
Ich frage vor meinen Lesungen, wer lesen würde, unabhängig von der Schullektüre. Fast alle melden sich. Dann raune ich, dass die Lehrer mal weggucken sollen. Die Hälfte der hochgestreckten Arme senkt sich. Ich frage, wer mehr als ein Buch im Jahr lesen würde. Es verbleibt etwas mehr als das „kaum“. Dann frage ich nach den Titeln. Whatsapp (!). Greg. Harry. Manchmal Lotta. 
Punkt.
Die Bibliothekarinnen erzählen, es kommen nur noch wenige Kinder zu ihnen. Nach der vierten Klasse fast niemand mehr.
Die Buchhändler erzählen, die Bücher werden von Großeltern und Eltern gekauft, die sich wünschen, ihre Kinder läsen diese. Doch gefragt, tun die es nicht. Eine erboste Großmutter ließ sich in ihrem Ärger darüber sogar zu einem „die sind alle gengeschädigt“ hinreißen. Der Bibliothekar und ich schauten uns besorgt an. Denn mit Wut, Bestrafungen und Erpressung kann man definitiv nicht die Schönheit des Lesens vermitteln.
Viele meiner Kollegen und auch ich versuchen das mit unseren Lesungen. Ich zum Beispiel höre immer wieder, dass meine Lesungen toll seien. Es wäre falsch bescheiden und albern so zu tun, als stimmte das nicht. Ich erzähle und lese mit tausend Stimmen. Ich schreie, raune, flüstere, krächze, juchze, lache. Ich erkläre ganz nebenbei Paralleluniversum, implodieren, unsere drei Dimensionen. Aber auch heiter (ist ein tatsächlich vergessenes Wort), Gewölbe, Spickzettel und Molch. Wir jubeln und klatschen, raten und erzählen. Ich hüpfe und springe. Und lasse mir alle Geheimnisse meines Lebens aus der Nase ziehen. Ich weiß, ich bringe Leben in die Bude. „Sie sind so unglaublich mitreißend und lebendig“, höre ich immer wieder. Die Kinder rufen: „Ich kaufe mir alle Bücher von Ihnen.“ Ich weiß, dass sie das nicht tun. Im März jeden Jahres gibt es die Abrechnungen. 
Woran liegt das? Warum lesen Kinder so wenig? Selbst wenn ihnen die Bücher gefallen. Aber vor allem: Was könnte man dagegen tun, zum Beispiel als Eltern oder Großeltern?
Zuerst steht da natürlich das Vorlesen. Es wird von allen Seiten gepredigt. Ich mache das hier auch: Lest vor! Lange. Das letzte Buch habe ich meinem 13-Jährigen vorgelesen. Sucht Euch Bücher aus, die Euch auch gefallen. Fragt Buchhändler, lest Buchblogs wie die Bücherkinder oder haltet nach dem Kilifü, dem Almanach der Kinderliteratur Ausschau. Es gibt unzählige wunderbare, witzige, spannende, kluge Kinderbücher, an denen auch Eltern Freude haben. Nehmt Euch Zeit. Lest mit Lust vor. Freut Euch selbst darauf. Macht es Euch dabei gemütlich. 
Später, wenn die Kleinen alleine lesen, ist das Lesen natürlich erst einmal anstrengend. Wer sich anstrengt, kann nicht in andere Welten versinken. Lesen will gelernt und geübt sein. Dazu gehören viele, viele Bücher. Wenn ich niemanden habe, der mir Bücher schenkt, ausleiht oder mit mir in die Bibliothek geht, dann scheitert mein Lesewunsch einfach daran, dass es keine Bücher in meinem Leben gibt. 
Bücher sollten keine Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke sein müssen. Kinder, die noch nicht vom Lesen gepackt sind, werden niemals auf eines der anderen Geschenke verzichten, um dafür ein Buch zu bekommen. Bücher sollten kein Opfer voraussetzen. Bücher sollten immer zugänglich sein. Jeden Monat eines. Ein Kinderbuch kostet um die 13 Euro. 13 Euro im Monat. Wenn man eine einfache Kosten-Nutzen-Überlegung (siehe oben, über was ich alles nicht schrieb) anstellt: Ist das wirklich zu teuer? Das zu beantworten überlasse ich jedem selbst. 
Wer ja ruft, der kann in die Bibliothek gehen. Dort stehen sie alle und wollen gelesen werden. Einmal im Monat zusammen in die Bibliothek. Das ist ein schöner gemeinsamer Ausflug mit dem Kind oder den Kindern. Hat man dafür wirklich keine Zeit? Was gibt es so viel Wichtigeres zu tun?
Sind die Kinder erst einmal buchlos 12 Jahre alt geworden, hat man sie als Leser verloren. Die Zeit ist also knapp. Fangt an!
Danke, das musste einfach raus.