Als ich das erste Mal meine eigene Stimme hörte, ging für
mich die Sonne unter. Ich wusste längst, dass ich sehr laut sprach. Immer
wieder war ich darüber ermahnt worden. Besonders von meinen Eltern. Am
peinlichtsen war es jedoch, als ich einmal mit meiner Lieblingslehrerin in der
dritten Klasse nach Hause lief, sie hatte einen ähnlichen Weg, und ich ihr ganz
beseelt irgendetwas sehr Intimes erzählte.
„Antje, ich laufe doch direkt neben
dir. Die Leute in der Kaufhalle (ca 2 km weiter vor uns) wollen deine Geschichte
sicher nicht hören.“
Einige Sekunden lang dachte ich, vor Scham für immer verstummen
zu müssen.
Damals fand ich dann aber Trost darin, dass ich meine Stimme
gar nicht misstönend sondern als ganz angenehm empfand. Doch dann hörte ich sie
das erste Mal. Im Radio. Ich war zehn Jahre alt und wollte tatsächlich nie
wieder sprechen.
Dabei hatte sich alles sehr aufregend angelassen. Das Radio
wollte kommen und die Kinder der Verkehrs-AG der Nikolai Ostrowski Schule in
Magdeburg interviewen. Wie ich eigentlich in die Verkehrs-AG gerutscht war,
weiß ich nicht mehr. Obwohl, das stimmt nicht. Es war nämlich wie immer. Man
musste sich irgendeine AG auswählen. Ich schwankte unentschlossen zwischen
Irgendwas mit Malen oder Schulgarten hin und her, als ich zufällig erfuhr, dass
der heimlich Angebetete zur Verkehrs-AG strebte. Ich war schon immer dieselbe
und darum ratzfatz auch dabei.
Drei Kinder wurden ausgewählt fürs Radio sprechen zu dürfen.
Darunter ich. Stolz wie Bolle kam ich an diesem Tag in die Schule, zappelte
die Unterrichtsstunden weg und richtete immer wieder mein Pionierhütchen, das
ich extra aufgestzt hatte. Es war immerhin ein denkwürdiger Tag im Sinne
unseres Vaterlandes. So etwas beging man im weißen Hemd, blauem Rock, Halstuch
und eben dem Hütchen. (Ganz ehrlich weiß ich gar nicht mehr, woher dieses Bild
in mir aufsteigt, denn eigentlich besaß ich weder den blauen Rock noch das Hütchen. Egal. Es
passt.)
Am Nachmittag scharrten wir uns dann im Schulhof um das
puschlige Mikro und jeder von uns drein durfte sein Sprüchlein aufsagen. Ich
erzählte etwas von der enorem Wichtigkeit der Verkehrs-AG, um kleinen Kindern
und auch verdattelten alten Leuten im gefährlichen Straßenverkehr helfen zu
können. Wie es meine Art ist, schummelte ich noch zwei drei Sätze mehr als
abgemacht hinzu und schrie sie vor lauter Begeisterung den Radiomenschen um die
Ohren.
(In Erinnerung meiner selbst als Kind (unendlich lang, unendlich dünn,
unendlich laut, ständig von allem begeistert und aufgeregt, aber unendlich
schüchtern und unsagbar unsicher) möchte ich mich in einem fort selbst in den Arm
nehmen und trösten.)
Einige Tage später umringten wir gemeinsam ein Radio und
lauschten dem Beitrag. Ich wurde immer enttäuschter, mein Herz zog sich schließlich vor
Traurigkeit zusammen. Die ganze Zeit redete da eine mit sehr lauter und irgendwie besserwisserischer Stimme und ließ den anderen gar keine Zeit, auch mal etwas zu sagen.
„Die haben meine Sätze rausgeschnitten“, flüsterte ich, den
Tränen nahe. „Die fanden wohl nicht gut, was ich gesagt habe.“
„Spinnst du!“, riefen die anderen. „Du redest doch die ganze
Zeit.“
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