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Samstag, 24. März 2018

Die Mutter-Kolumne: Von Schatz und Spatz in der Hand und rosa Kieseln und Tauben auf dem Dach

Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, viele machen oder sagen das, aber wieso eigentlich? Dieses Mal: Der Spatz in der Hand und so weiter ...


Wir hüpften von Fels zu Fels das fast leere Bachbett hinauf, das nur einem murmelnden Rinnsal den Weg bergab wies. Das Töchterchen hüpfte etwas schneller als ihr Bruder und ich.
„Kommt doch mal“, rief sie ungeduldig zurück.
„Kann ich nicht“, murmelte das Söhnchen. „Meine Last ist zu schwer.“
Seine Last waren rundgeschliffene anthrazitfarbene Kiesel, die er auf seine Hosentaschen verteilt hatte. Mit beiden Händen musste er die Hose nun festhalten, damit er sie nicht verlöre. So kann man natürlich nur sehr langsam von Fels zu Fels einen Bachlauf bergan hüpfen.

Am Anfang war auch er noch flink gewesen. Dann hatte er den ersten besonderen Stein gefunden. Ziemlich bald den zweiten, den dritten.
„Schau Mama, wie schön die sind“, hatte er gerufen.
„Wolltest du nicht einen Rosafarbenen finden?“, hatte ich gefragt.

Von den rosafarbenen Steinen hatte uns der alte Mann im Dorf erzählt. Wir hatten in einem Restaurant zu Mittag gegessen, und er saß am Nebentisch. Er hatte uns einen glatten, sanft schimmernden, perfekt runden Kiesel gezeigt.
„Die kann man im Bachbett hinterm Restaurant finden. Weit oben und wenn man großes Glück hat“, erzählte er.
Nach dem Essen waren wir zur Schatzsuche aufgebrochen.

„Die Rosanen liegen weiter oben“, rief das Töchterchen ungeduldig. „Lass doch deine Steine fallen, dann kannst du schneller klettern.“
„Niemals. Das sind meine Schätze!“, antwortete ihr Bruder.
„Das sind keine echten Schätze. Die echten sind die Schimmernden“, sagte meine Tochter.
„Gar nicht. Meine sind auch Schätze. Vielleicht sind sie nicht so schatzig wie die Rosanen, aber sie sind trotzdem kostbar. Erst recht, weil ich sie schon habe“, brummte der kleine Kerl und schleppte sich weiter.
Weit voran stürmte seine Schwester, hopste von Stein zu Stein, bückte sich immer mal wieder, hatte aber noch keines der mineralischen Stücke gefunden.

„Stimmt´s, Mama, meine Steine sind echte Schätze. Sogar noch echter als die Rosanen. Denn die sind ja gar nicht da“, meinte das Söhnchen. „Und ein echter Schatz ist doch viel besser als einer, der gar nicht da ist.“
„Aber Mama, mein rosa Stein ist doch viel wertvoller, auch wenn ich ihn noch nicht gefunden habe“, widersprach das Töchterchen. „Außerdem kann ich schon mal davon träumen.“
Die beiden schauten mich mit großen Augen an. Ich sollte entscheiden. War der Spatz in der Hand der größere Schatz als die stolze Taube auf dem Dach? Ich wusste es nicht.
„Vielleicht ist das für jeden anders?“, schlug das Töchterchen vor.
Mein Sohn hielt sich die schwere Hose fest und nickte gewichtig. „Ja. Die einen finden einen Stein schön, den sie haben, der aber vielleicht nur grau ist–“
„Und die anderen wollen keinen grauen Schatz, sondern träumen lieber von einem der rosa ist“, beendete seine Schwester den Satz.
Besser hätte es wahrscheinlich niemand sagen können.
Nicht einmal ihre kluge Mutter, die eine Träne der Rührung aus den Augen wischte und sich dann nach zwei rosafarbenen Kieselchen bückte, die sich unter einem der Felsen verklemmt hatten.

Freitag, 9. März 2018

Von welcher Zukunft träume ich? – Harald Welzer im Gespräch mit Schülern


Von welcher Zukunft träume ich? –

Harald Welzer, Sozialpsychologe, Gründer von „FuturZwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit“ und Mitbegründer der Initiative „Die offene Gesellschaft“, der sich für eine lebenswerte Zukunftsgestaltung einsetzt und für die zivilgesellschaftliche Verteidigung demokratischer Werte steht, diskutierte das mit Schülern am 9. März 2018 in der Centralstation.

Ich habe das zweistündige Gespräch zusammengefasst. Vorab möchte ich jedoch schreiben, dass die Eingangsfrage von den Schülern nicht beantwortet wurde. Mich schockierte das ein bisschen. Haben die 15- und 16Jährigen wirklich keine eigenen Zukunftsvisionen?




Wir haben das Glück, in einer Zeit und in einer Gesellschaft zu leben, die uns satt, gesund und frei sein lässt. (Selbst Ludwig der 14., Sonnenkönig genannt und bekannt als der europäische Monarch schlechthin, fror jämmerlich im prachtvollen Versailles, in dem es zudem mangels Toiletten aus allen Ecken stank.)
Unsere Lebensumstände ermöglichen es, die eigene Zukunft zu gestalten.

Davor steht natürlich die Frage: Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Und auch: Wie setze ich meine Visionen und Wünsche um?

In einer Demokratie hat jeder Mensch die Chance, das Leben, die Gesellschaft, die Zukunft mitzuformen und zu entwickeln. Eine Chance, die im gleichen Maß Verantwortung bedeutet. Zum Beispiel die Verantwortung, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, nachhaltig zu handeln und diesen Planeten den folgenden Generationen nicht als Mülleimer zu hinterlassen.

Natürlich gibt es unfassbar viele Ablenkungen, die es einem mehr als einfach machen würden, sich rauszuhalten, träge zu werden, die Verantwortung für sein Handeln und für sein Leben abzugeben. Diese Entscheidung muss jeder für sich treffen. Mische ich mich ein, bin ich Gestalter und Bestimmer meines Lebens und meiner Zukunft? Oder versinke ich in den Ablenkungen anderer, die dann für mich entscheiden?
Glücklich werden diese Ablenkungen einen nicht machen. Da können apple, samsung oder netflix noch so viel versprechen.

In einer Welt, in der die Zahlen der absolut Armen, der Säuglingssterblichkeit und Hungertoten stetig zurückgehen, ist nicht alles schlecht und verloren. Auch wenn die dramatischen Darstellungen von Amokläufen, Präsidentenidioten, Krawallen, Unmenschlichkeit, Rechtspopulismus und Flüchtlingssituationen in den sozialen Medien das Gegenteil suggerieren wollen. Sich davon nicht kirre machen zu lassen, sondern sich bewusst zu informieren, die Informationen zu filtern, sich eine eigene Meinung zu bilden und daraus eine Position abzuleiten, sind Schritte in die eigene Richtung. Und diese eigene Richtung bestimmt man selbst. Jedenfalls darf man das.

Täglich ist man extremen Widersprüchen ausgesetzt. So versucht beispielsweise die Werbung den Einzelnen zum Ultrakonsum zu verführen, während Prognosen und Studien auf die Zerstörung der Umwelt hinweisen. Man weiß, ein weiteres Wachstum der Wirtschaft wie in den vergangenen Jahrzehnten ist nicht möglich. Der Planet ist endlich, der Regenwald licht, die Ozeane voller Plastik, der Boden voller Gifte, die Luft angereichert mit festen Partikeln. Zu einer lebenswerten Zukunft gehören aber vor allem existentielle Dinge wie sauberes Wasser, ausreichend Sauerstoff, gesunde Nahrungsmittel und Bewegungsfreiheit. Sinnfreies Habenwollen zerstört die Erde. Ein Weltretter kauft nichts, was er nicht zum Überleben braucht. Das wissen wir. Doch die Innenstädte mit ihren Auslagen, die Werbung in allen Medien und das Internet schreien uns an: Du musst konsumieren! Interessanterweise gar nicht, um zu besitzen, (die wissen selbst, dass niemand Wohnungskrimskrams, das neuste Smartphone oder sieben Hosen braucht), sondern um angeblich glücklicher zu sein. Also, nach dem Motto: Besitz macht glücklich.

Aber stimmt das? Wie lange erfreue ich mich an den neuen Nike Air Max oder am nigelnagelneuen Smartphone? Irgendwann ist es einfach ein Paar Schuhe, damit man keine kalten und nassen Füße kriegt, und eine Kommunikationsmöglichkeit mit zersplittertem Display, die aber zum Glück noch funktioniert. (Im Zweifelsfall genügte aber auch das alte Phone, das der Kumpel noch in der Schublade hat. Hauptsache ist doch, man kann seine Leute erreichen.)
Das Leben selbst würde einem also deutlich machen können, dass man eigentlich gar nicht so viel braucht oder besitzen muss, dass Besitz nicht langfristig glücklich macht und dass es ganz cool wäre, wenn der Planet noch eine Weile ausreichen würde, man im Meer baden könnte, bis zur Atemlosigkeit rennen, um dann einen tiefen Zug frischer Luft nehmen könnte, und dass Vögel, Blumen, Bäume und was die Natur sonst noch vorbringt, eigentlich auch ganz schön und vor allem lebenswichtig sind.
Aber bevor man da bewusst ankommt, hat apple schon wieder das nächste Tablett entwickelt und schaltet Werbung, die einen manipuliert: Ohne das neue Produkt bekäme man nichts geregelt, sei nicht dabei, uncool und irgendwie raus. Trotz besseren Wissens zieht man also wieder los und kauft.
Wer diesen Widerspruch zumindest wahrnimmt und ihn erkennt, ist noch normal in Hirn und Herz. Sich davon zu befreien, selbstbestimmt entscheiden zu wollen, wäre dann der erste Schritt in eine eigene Zukunft.

Es wird immer Menschen geben, denen Zukunft, selbst die eigene, egal ist. Darüber kann ich mich ärgern. Ich kann versuchen, sie aufzuklären, und sie irgendwie wachzurütteln. Aber sie dürfen nicht diejenigen sein, die mein Tun beeinflussen. Sie dürfen mich nicht so sehr frustrieren, dass ich die Lust verliere, zu gestalten und zu bestimmen. Ich entscheide über mein Tun. Die Frage „Wie gehe ich persönlich mit den Möglichkeiten, die sich mir bieten, um“, macht das Leben spannend.
Sind meine Schritte erfolgreich, werden sie belohnt, weil mir etwas gelingt, weil ich ein Ziel erreiche, macht mich das stolz und gibt mir Anerkennung. Daraus entwickle ich Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten. Ein Mensch, der daran glaubt, dass er selbstbestimmt handeln und mit seinem Tun etwas erreichen kann, entwickelt letzten Endes Zufriedenheit und Glücksgefühle. (Siehe dazu auch den Wiki-Eintrag über Selbstwirksamkeitserwartung.)

Meine eigenen Zukunftsvorstellungen werden niemals eins zu eins umgesetzt werden können. Das ist nicht frustrierend, sondern logisch und auch richtig. Wir sind keine Einzelgänger. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Meine ureigenen Gedanken und Ideen werden durch das Denken und Tun der anderen verändert. Sie inspirieren den anderen, er wird sie aber nie so verstehen oder umsetzen, wie ich das tue oder tun würde. Daraus entstehen gemeinschaftliche Modelle und Projekte.

Falsch Gedachtes kann man nicht optimieren.
Situationen, Erfindungen und Systeme, die verkehrt sind, können nicht verbessert werden. Man muss sie loswerden. Das gelingt nur über eine geänderte Fragestellung. Im Wechsel der Perspektive und der Hinwendung in eine ganz andere Richtung, sucht und findet man Ansätze und Lösungen, die Zustände und letztlich ganze Systeme komplett verändern.
Beispiel: Auto
Das Auto zerstört die Umwelt, verschwendet Ressourcen und nimmt dem Menschen Lebensraum. Egal wie sehr die Hersteller daran arbeiten, ein „grünes“ Auto zu produzieren, es wird nicht gelingen, den Fehler Auto mit einem optimierten Auto auszumerzen.
Hier muss man umdenken, also die Fragestellung ändern. Der Mensch möchte mobil sein, braucht diese Mobilität in gewissen Maßen auch. Wie kann ich diese Mobilität ohne Auto gewährleisten?

Viele Probleme dieser Welt kämen über eine geänderte Fragestellung zu einer Lösung. So wird das Thema Überbevölkerung oft problematisiert. Überbevölkerung bedeutet gemeinhin, dass es angeblich nicht genug Nahrung und andere Ressourcen für die Anzahl der Menschen auf der Erde gäbe. Das ist bei richtiger Fragestellung Unsinn. Denn niemand müsste hungern oder darben, wenn Nahrungsmittel, Medikamente, Wohnraum, Wasser, Bildung usw. gerecht verteilt wären. Doch das sind sie nicht. Zum Beispiel verbrauchen die Deutschen das 5- bis 10-fache und die Amerikaner sogar das 10- bis 20-fache an zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Gütern im Verhältnis zu den meisten afrikanischen Ländern.

Zukunft zu gestalten bedeutet eben auch immer, die richtigen Fragen zu stellen und die üblichen Pfade zu verlassen. Besonders wenn sie als Sackgassen enden.
Wir bemessen beispielsweise das Niveau unserer Gesellschaft über das Bruttosozialprodukt. Das Bruttosozialprodukt allerdings wächst auch über Zerstörung. Ein Krieg mit nachfolgendem Wiederaufbau erhöht das Bruttosozialprodukt eines Landes. In dieser Denkweise also den Wohlstand der Bevölkerung. So betrachtet muss man fragen, bemisst es tatsächlich das Wohlleben der Gesellschaft?
Wie gut geht es den Menschen, wäre doch hier die viel bessere Frage.

Natürlich kann ein Mensch im ersten Schritt eines Einzelgangs keine Gesellschaft oder ein ganzes System ändern. Aber er kann Impulse geben, die zu einer Veränderung führen können.
Gesellschaften sind keine statischen Systeme, sie sind nicht stabil und entziehen sich letztlich der Kontrolle durch den Menschen. Einzelne Impulse bringen kleine Verschiebungen. Vom Einzelnen inspiriert, können sie wachsen und zu Bewegungen werden. Dabei ist es nicht wichtig, ob der Erste das System an sich ändern wollte, oder ob er überhaupt politisch dachte oder eher persönlich inspiriert handelte. Aber aus Einzelaktionen entstandene Bewegungen erzeugen Aufmerksamkeit. Letztlich auch bei der Politik.
Die Geschichte zeigt, dass viele Handlungen eigentlich anders motiviert waren und etwas ganz anderes erreichen wollten, als sie es dann taten.
Zum Beispiel der Mauerfall. Damals gingen die Menschen in der ehemaligen DDR auf die Straße, um die Zustände im eigenen Land anzuprangern. Sicher hätte niemand von ihnen gedacht, dass nur ein Jahr später das Ende einer Diktatur zu feiern war. Und das ohne Gewalt.

Darum kann also auch der Einzelne etwas verändern. Er muss nur den ersten Schritt gehen, einen Impuls setzen. Der kann zu einer Dynamik führen, so dass aus einer Person eine Gruppe mit dem selben Anliegen entsteht, daraus wiederum eine Bewegung, die auf die Gesellschaft übergreift, die dann letztlich das System ändert.

Jeder, der in einer Demokratie lebt, ist in der Lage, seine Zukunft selbst zu gestalten. Er muss nur anfangen, etwas zu tun. Nicht darüber reden, sondern machen.

Freitag, 19. Mai 2017

Die Mutter-Kolumne – Versprechen muss man halten. Ach, ja?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.


„Das könnten wir doch vielleicht irgendwann mal machen, oder?“, hatte ich gesagt und auf die schönste Seite des Abenteuer-Kochbuchs gedeutet, das wir gerade gemeinsam anschauten. Camping an einem Flüsschen, Angeln, Wiesenkräuter sammeln, Feuerstelle und köstliche, auf einem Stock gegrillte Fische. Ein richtiger Abenteuertraum.
„Au ja!“, hatten die Kinder gerufen. Beide. Obwohl mein Sohn gar keinen Fisch mag.

Dann passierte das Leben. Es spülte uns leider den ganzen Sommer lang an kein Flüsschen. Eine Angel entdeckte ich auch nirgendwo. Und das Buch fiel mir nicht wieder in die Hände.

Im Herbst saß die Kinderschar, derer zwei plus einiger sie begleitende Kuscheltiere, vor mir auf dem Sofa und schaute mich mit vorwurfsvoll aufgerissenen Augen an. Alle, auch die Kuscheltiere. Auf dem Teppich daneben, halb unter das Sofa gerutscht, lag das Abenteuerkochbuch. Es wirkte wie ein Verräter.
„Du hast uns das da versprochen“, sprach das Töchterchen und tippte mit der Fußspitze dagegen.
„Was man verspricht, muss man auch halten“, krähte das Söhnchen.
Die anderen nickten. Alle.
„Aber ich hatte doch vielleicht gesagt, es war kein richtiges Versprechen“, verteidigte ich mich.
Das ließ die Schar nicht gelten. „Versprochen ist versprochen“, hieß es. Das hatte ich ihnen genauso beigebracht.

Daraus lernte ich. Nie wieder wollte ich etwas versprechen, das ich nicht halten konnte. Nicht einmal Möglichkeiten andeuten, die man als Versprechen missdeuten konnte. Ich begann, grundsätzlich Konditionalsätze zu vermeiden. Sicher war sicher.

Im Gegensatz dazu mehrten sich mit den Jahren die Versprechen der Kinder. Zu Beginn merkte ich es noch gar nicht. Vor allem nicht, dass diese Versprechen gar nicht erfüllt wurden. Ich glaubte ihnen, wenn sie sagten: „Das Zimmer räume ich später auf. Versprochen.“ Oder: „Ich komme gleich.“
Erst nach und nach begriff ich die Bedeutungen von gleich, später und sofort. Die waren: vielleicht, irgendwann oder auch niemals.
Waren das dieselben beiden Personen, die einst so darauf bestanden hatten, dass man ein Versprechen, auch wenn man es nur sehr wage formuliert hatte, einhalten musste? Die mich mit vorwurfsvollen Augen bestraft und ihre Kuscheltiere auf mich gehetzt hatten?
„Was ist denn nun mit versprochen ist versprochen?“, fragte ich.
„Ach, Mamilein, nimm doch nicht immer alles so ernst“, sagte mein Sohn.
Mamilein war ich immer dann, wenn sich auf liebevolle Art und Weise aus der Kinderriege ein wenig über mich lustig gemacht wurde. Hinzu kam noch ein beinahe joviales Schulterklopfen.
„Ja, und was ist jetzt damit?“, fragte ich und deutete mal ganz unbestimmt auf das uns umgebende Chaos im Kinderzimmer.
„Das räume ich später auf“, sagte mein Kind und schlüpfte in seine Jacke. „Jetzt muss ich erst mal ganz dringend weg.“
„Aber –“, begann ich.
„Versprochen, Mamilein“, sagte der Sohn, gab mir noch einen Kuss und war verschwunden.

Dienstag, 9. Mai 2017

Die Mutter-Kolumne – Die schicke, blöde Hose

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.


Ganz hinten im Schrank meines Sohnes hingen zwei Bügel. Auf dem einen ein Hemd mit Kragen, auf dem anderen eine helle Hose ohne Löcher. Die gute Hose. Ein Outfit für einen besonderen Tag. 
Ich gebe es zu, die Sachen hatte ich ungefragt gekauft. Sie sahen im Katalog so niedlich aus. Außerdem: Jedes Kind braucht doch zwei, drei ordentliche Kleidungsstücke, oder? Es gibt im Leben Momente, da geziemt sich eine nett anzuschauende Optik.

„Die Sachen sehen doof aus“, knurrte jedoch mein Söhnchen, wenn ich darauf zeigte. Zum Beispiel vorm Familienosterbrunch oder an Heiligabend. „Ich denke, wir sollen uns schön machen. Dann kann ich doch nicht so was Doofes anziehen.“
Er hatte eben ein ganz eigenes Bild von schön machen. Die abgewetzte Cordhose zum Beispiel, die war schön. Denn sie war super bequem und wunderbar weich. Oder der Pulli mit dem Hai. Der war zwar schon ein bisschen sehr kurz an den Ärmeln und sein Bäuchlein blitzte darunter hervor. Trotzdem. Der Haipulli war schön. Darum trug mein Kind ihn auch jeden Tag. Sollte ich zusehen, wie ich mit dem Waschen hinterher kam. Seinetwegen musste der auch gar nicht so oft gewaschen werden.

„Omi fände es schön, wenn du zu ihrem Geburtstag deine gute Hose und den Pullunder tragen würdest“, sagte ich einmal.
Er schaute mich skeptisch an.
„Ganz genau“, krähte das Töchterchen. „Sie freut sich bestimmt auch, dass ich mich so schön gemacht habe.“
Ich betrachtete etwas beklommen die Frosch-Gummistiefel an ihren Füßen, das türkisfarbene Satinnachthemd darüber, das sie mich gezwungen hatte, auf einem Flohmarkt einer alten Dame abzukaufen. Hochgeschürzt von einem ollen Ledergürtel aus der Verkleidungskiste. Darüber ein strahlendes Lächeln.
Ich gab ihr einen Kuss. „Bestimmt wird sich Omi sehr darüber freuen.“
„Ich bin ja auch keine Prinzessin“, knurrte das Söhnchen.
Dabei warf er einen neidvollen Blick auf den glänzenden Fetzen am Leib seiner Schwester.

„Einmal ziehst du die guten Sachen für mich an, ja?“, fragte ich ein anderes Mal.
Das Söhnchen schlüpfte mit angewiderter Mine und großem Geziere vor einem Theaterbesuch in eben jene Sachen. Ich machte schnell ein Foto. Dann lief ich schon mal vor. Jacke und Schuhe anzuziehen ging bei meinen beiden schneller, wenn ich nicht in der Nähe war.
In der Theatergarderobe musste ich dann herzhaft lachen, als unter der Jacke der Haipulli auftauchte.

Die Zeit arbeitete für ihn. Mein Sohn entwuchs dem schicken Outfit, ohne es ein einziges Mal getragen zu haben. Wir hängten es an unseren Stand auf einem Kinderflohmarkt.
Als sich eine Mutter dafür interessierte, begann mein Kind die ungeliebten Kleider anzupreisen. Ich hatte ihm einen Anteil für sein Sparschwein versprochen.
„Das ist eine sehr schicke Hose“, sagte er und nickte gewichtig. „So etwas braucht man.“
Die Mutter lächelte und zückte ihr Portemonnaie.
„Sie hängt sehr gut ganz hinten im Schrank“, fuhr mein Söhnchen fort. „Da sieht man sie nicht so. Und anziehen ...“, er schüttelte vehement seinen Kopf, „... anziehen würde ich so was nie.“

Donnerstag, 14. Juli 2016

Die Mutter-Kolumne – Du sollst nicht lügen!

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich.


„Das war ich nicht!“, beharrte des Söhnchens Kindergartenkumpel, obwohl wir es alle besser wussten.
„Lügen sind ganz dolle hässlich. Sie haben lange Nasen und kurze Beine. Trotzdem rennen sie viel schneller als die Wahrheit, stimmt´s Mama?“, krakeelte mein Kind. 
Richtig, so ähnlich hatte ich es ihm und seiner Schwester vorgebetet. Oft. Sehr oft. Immer wieder. Du sollst nicht lügen! Niemals. In einem etwas anderen Wortlaut steht das nicht nur in der Bibel. Nicht zu lügen ist auch ehrenhaft und von edler Gesinnung, also genau das Richtige für meine Kinder.
Leider hält dieser von mir so geliebte Anspruch der Realität am wenigsten stand. Wie kommt diese Karla Kolumna da drauf?, mag die eine oder der andere nun empört rufen. Ganz einfach, weil es die Wahrheit ist.

Lügen erfordern ein hohes Maß an Intelligenz, und meine Kinder sind sehr intelligent zudem auch kreativ, einfallsreich, versponnen und phantasievoll. Es gibt viele schöne Wörter dafür. 
Ein Höhepunkt der Beweisführung dieser wunderbaren Eigenschaften war sicher der Tag, als ich den abgeschnittenen Zopf im Bad hinter der Toilette fand. Auf meine eigentlich überflüssige Nachfrage, stand meine 5jährige Tochter vor mir und schüttelte verneinend ihr links bezopftes und rechts bestummeltes Köpfchen. 
„Das ist nicht meiner.“ 
„Ach so“, sagte ich zwischen Lachen und Empörung hin und her gerissen. „Ist es dann vielleicht meiner?“ Ich hielt mir das blonde Haar vor mein eigenes dunkelbraunes. 
„Vielleicht“, sagte die Kleine. „Vielleicht ist er aber auch von Jan.“ 
Jan, mein damaliger Lebenspartner, trug Glatze.

Es sollte trotzdem noch einige Zeit dauern, bis ich begriff, dass mein Anspruch wohl zu hoch lag, und ich damit meine Kinder in große Nöte brachte.
Mein Sohn und ich begegneten eines Tages auf der Straße einer sehr beleibten und auch etwas ungepflegten Dame, die ich flüchtig kannte. Wir blieben voreinander stehen, um einige Belanglosigkeiten auszutauschen. 
„Mama, wer ist die hässliche Frau?“, unterbrach das Söhnchen die bis dahin unbeschwerte Plauderei.

„Weißt du, man darf so etwas nicht sagen“, erklärte ich kurz danach. „Es verletzt die Frau.“
„Warum?“, fragte das kluge Kind. „Sie kann das doch auch im Spiegel sehen.“
„Aber sie will es nicht von anderen hören“, sagte ich. „Sie möchte sich bestimmt wie jeder andere Mensch auch schön fühlen.“
„Und darum sagt man ihr, dass sie schön aussieht, auch wenn man es nicht findet?“
„Ja“, murmelte ich.
„Ist das dann nicht gelogen?“
„Na ja“, wandte ich mich, „ein bisschen schon. Aber manchmal muss man eben ein klitzekleines bisschen die Unwahrheit sagen.“
„Damit man anderen nicht weh tut, meinst du?“, fragte das Söhnchen.
„Genau“, sagte ich.  

Monate später fand ich den Stapel Elternbriefe wegen nicht gemachter Hausaufgaben unter seinem Schrank. Fassungslos hielt ich sie ihm vor die verdächtig lange Nase. 
„Was ist das?“, fragte ich, obwohl das Ganze keiner Frage bedurfte.
„Das ist der Versuch, dir nicht weh zu tun“, antwortete mein Sohn.

Montag, 15. Februar 2016

Die Mutter-Kolumne – Förderung auf Teufel komm raus?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich?


Kinder müssen unbedingt gefördert werden! – Wirklich?

Manch Schwangere hört spanische Deklinationsreihen oder sitzt als Gasthörerin in Vorlesungen für angewandte Mathematik. Davon möchte ich nicht schreiben. Nein, für mich begann alles mit PEKIP. Lange wusste ich nicht, was das ist. Die Selbstverständlichkeit mit der andere Mütter davon sprachen, schien ein Nachfragen schlicht zu verbieten. Erst als ich mit meinem Baby durch die Welt reisend, jenes längst auf Wiesen und Stränden abgelegt, es vom Gras kitzeln und vom Wind liebkosten lassen hatte, erfuhr ich, dass andere Mütter ihre Kleinen in Gruppen zwischen Luftballons und Seidentücher platzierten, während sie sie mit Pfauenfedern streichelten. Ich fand das befremdlich, sie ließen jedoch Worte wie Förderung und Verantwortung fallen.

Hatte ich also mit dem nigelnagelneuen Kind schon alles falsch gemacht? Erschüttert blätterte ich durch Kataloge unzähliger Kurse, Gruppen und Schulen, die alle nur das Beste aus meinem Kind herausfördern wollten. Tapfer versuchte ich, den stetig wachsenden Druck zu ignorieren.

Doch dann meldete ich das 4-jährige Töchterchen in der Berlitz School an. Das lag allerdings an der englischsprechenden Verwandtschaft, die den teuren Kurs auch finanzierte. Einge Monate lang brachte ich das süße Wesen mittwochs zum spielerischen Sprachkurs. Als Erinnerung daran blieb uns ein anglophiles Kuscheltier, ein weiteres Wort Englisch hörte ich mein Kind jedoch nicht sprechen. Dabei war ihr erstes so eines gewesen. „More.“ Damals ging es um Kartoffelbrei und die Frage der fütternden Granny „Do you want more?“

Später saß ich mit dem neuen Kind donnerstags hinter einer Scheibe und sah dem Töchterchen im Tutu zu. Bis das Brüderchen vehemment forderte, auch „ballettern“ zu wollen. Die gestrenge Lehrerin erteilte die Erlaubnis, was der Kleine mit einer derart juchzenden Begeisterung tat, dass er den Saal nach zehn Minuten Glückseligkeit wieder verlassen musste. Er weinte bitterlich und begehrte niemals wieder zu tanzen. Auch die Tanzkarriere seiner Schwester erfuhr durch die bedauernden Worte der Lehrerin, sie sei einfach zu groß dafür, ein apruptes Ende. Es brach unser aller Herz. Wir gingen nach Hause und tanzten wild im Wohnzimmer herum.

In denkwürdiger Erinnerung wird mir auch das Jahresabschlusskonzert der ungeliebten Gitarrenklimpereinheiten meiner Kinder bleiben. Die riesige Gitarre im Arm saß mein Sohn auf einem der im hinteren Bereich der Bühne aufgestellten Stühle und harrte seines Auftritts. Davor gab sich ein Teenager alle Mühe, gemeinsam mit der Musiklehrein einen aktuellen Hit noch höher zu singen als die letzte Casting Show Kandidatin. Plötzlich begann mein Kind völlig selbstvergessen, quasi im Playback eine leidenschaftliche Opernsängerin darzustellen. Dass das Publikum lachen musste und der singende Teenager samt begleitender Lehrerin immer verzweifelter wurde, macht diese Geschichte zu einer dramatischen. Ich schämte mich etwas, doch größer war die Erkenntnis, dass mein Sohn zum Schauspieler geboren war.

Das werde ich allerdings nicht fördern, das wird ihm passieren. Und vielleicht schreibt seine Schwester mal ein Stück für ihn. Dass sie gute Poesie zu Papier bringt, hat sie nämlich zwischenzeitlich ganz alleine herausgefunden.

Samstag, 6. Februar 2016

Regretting Motherhood? – Niemals!

Zwei Ereignisse innerhalb zweier Tage brachten mich zum Nachdenken. Wenn ich etwas bedenke, muss ich es aufschreiben. So entsteht so mancher befindliche Text. Meistens veröffentliche ich diese auf meiner Autorenseite. Dort rutscht es jedoch schnell ins Vergessen, darum also hier noch einmal. (Ich möchte mich disziplinieren, das immer zu tun. Ehrlich gesagt, habe ich durch die Autorenseite meinen Blog etwas vernachlässigt. Schade, denn nicht jeder ist im Facebook vertreten. Ich gelobe Besserung.)



„Mama, wie oft hast du eigentlich bereut, dass du uns geboren hast?“, fragte mein Sohn vor einigen Tagen.
Ich dachte, mein Herz würde brechen. „Wie kommst du denn auf so was?“, rief ich verstört. „Noch nie! Ich habe es noch nie bereut, dass es euch beide gibt.“
„Aber es gibt doch Momente, wo man bedauert, Kinder zu haben, oder? Also manchmal, da hast du dich echt so angehört“, hakte mein Sohn nach.
Mir wurde ganz elend. „Klar, es gab manch schwierigen Augenblick“, gab ich zu. „Ihr habt mich angekotzt und angepinkelt, mir den Schlaf geraubt, mich bloßgestellt, ihr habt mich die Haare raufen lassen, bis sie ausfielen, mir Sorgen bereitet und mich in Angst und Schrecken versetzt, ihr habt mich zur Putzfrau, zur Köchin und Hinterherräumerin, zum Geldbeutel, zum Müllmann, zum Bulldozerfahrer, zur hilflosen Therapeutin und zu einem geifernden Etwas gemacht, das ich selbst am allermeisten verabscheute. Doch immer liebte ich euch wie verrückt und hätte mir ein Leben ohne euch nicht vorstellen mögen.“
„Dann ist es ja gut“, sagte mein Sohn. 
Gestern sah ich eine Fernsehsendung, in der eine Frau saß, die ein Buch darüber geschrieben hat, dass sie und auch andere die eingegangene Mutterschaft ganz klar bereuten. Es schien also einen gesellschaftlichen Trend zum Thema zu geben, Regretting Motherhood genannt. Dieser begann im letzten Jahr mit einer Studie der israelischen Soziologin Orna Dornath, in der sich zwei Dutzend Mütter über ihre Mutterschaft bitterlich beklagten (Moment mal, zwei Dutzend? Darf man das überhaupt Studie nennen? Ich weiß, ich werde gerade unsachlich, doch dies hier ist auch kein sachlicher Text). Irgendwie war das Ganze bisher unbemerkt an mir vorübergegangen, aber scheinbar hatte meinen Sohn ein Luftzug davon gestreift.
Mir fiel zu dieser Fernsehdiskussion nicht viel ein, eigentlich überhaupt nichts. Ich gebe zu, meine Emotionen hatten die Oberhand übernommen und fassungslos betrachtete ich die Dame.
Keine Frau muss, wenn sie das nicht möchte, ein Kind bekommen. Warum sich manche dennoch unter solcherlei Druck fühlen, ist mir ehrlich gesagt unverständlich, und meiner Meinung nach, eher individuell denn gesellschaftlich bedingt.
Ein Kind zu bekommen, ist die größte Entscheidung des Lebens. Keine andere ist größer, denn sie ist die einzige, die nicht umkehrbar ist. Dafür sollte man sich dann auch schon etwas Zeit nehmen, im Vorfeld darüber nachzudenken.
„Da müssen Sie jetzt einfach durch“, sagte auch eine ältere Politikerin der Dame.
Hätte von mir sein können. Und noch: Bitte mit Respekt dem Kind gegenüber. Schöner wäre es jedoch mit Liebe. Dass sie diese für ihr Kind empfände, darauf verwies die Dame immer wieder beinahe flehentlich. Mir blieb unklar, welch Definition sie für die Liebe hat.
„Das arme Kind, das mit einer Mutter aufwächst, die ein Buch darüber schrieb, dass sie es bereue, ein Kind bekommen zu haben“, sagte auch meine Tochter zum Thema.
Gerade in der Pubertät denken das die Kinder doch sowieso: Dass sie ungewollt sind. Weil die Bude wackelt, weil gestritten, gemeckert, gezofft und geschrieen wird. Weil die Heranwachsenden nicht wissen, wo sie hingehören, weil sie sich selbst gerade verloren haben, eher einen abgehalfterten Rockstar, einen ausgewanderten Nordpolreisenden oder gar Aliens als wahre Eltern akzeptieren können, als diese Personen, die zwar in derselben Wohnung leben, aber nur dazu da zu sein scheinen, sie in den Wahnsinn zu treiben und bei allem zu stören.
Das dachte (und denke) ich übrigens auch in diesen Zeiten. Denn wenn sich plötzlich die geliebten herzigen Kleinen, die sich einst mit einem riesigen Strahlen im Gesicht, juchzend in meine Arme schmissen und mich unendlich liebten, in Wesen verwandeln, die maulend, grummelnd oder schreiend durch manche Tage schlurfen und durch andere rasen, aber dabei immer eine Spur der Verwüstung hinter sich lassen, nimmt einem das schon mal den Atem. Also ehrlich gesagt, ist es richtig furchtbar. Doch da muss man dann eben auch durch. Man hat ja schon gehört, es ginge vorüber. Und: Man überlebt es.
Getragen von der Liebe, watet man tapfer durch den zähen Morast dieser düsteren Jahre. Auf der anderen Seite kann man sich dann in die Arme fallen, froh es geschafft zu haben, ausruhen und erst mal etwas trinken. Zusammen. Vielleicht im Sonnenschein.
Nicht eine Sekunde, mein Sohn. Nicht eine Sekunde.

Nachtrag: Da dieser Text (auf der Facebookseite) auf so viel Resonanz stößt und auch Fragen und Kritiken aufwirft, möchte ich noch einen Kommentar dazu abgeben. Meine Worte sind aus dem Herzen geschrieben. Ich lebe in einer Gesellschaft, deren Werte auf dem Christentum basieren, in der ich aber die Freiheit habe, mir meinen eigenen Weg zu suchen. Ich habe in meinem Text sicher (auch) die Position eines Kindes eingenommen, das vielleicht nicht in der Lage ist, sich objektiv mit der Tatsache auseinander zu setzen, dass seine Mutter die Mutterschaft bereut, ohne das auf sich zu beziehen. Ich denke, dass die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, sehr durchdacht sein muss. Man muss sich die Frage stellen, schaffe ich das (im Zweifelsfall auch alleine) oder nicht. Wie die Welt, wie die Gesellschaft aussieht, in der ich lebe, darf mir keine Überraschung dabei sein, das gehört quasi zur Recherche. Wenn ich diese Frage nicht eindeutig mit ja beantworten kann, dann ist das zumindest einen Moment des Zögerns wert. Denn ich bin letztlich verantwortlich für ein kleines und größer werdendes Leben. Ich selbst war und bin alleinerziehend. Dabei möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass diese 17 Jahre 2 x 3 Jahre lang von wunderbaren Männern begleitet wurde. Trotzdem musste ich diesen Weg letztlich alleine gehen, von Anfang an. Dass ich nicht jede Facette meiner Persönlichkeit ausleben, mir nicht jeden eigenen Wunsch erfüllen konnte, ist "part of the game". Das habe ich gerne gegeben.

Sonntag, 14. Juni 2015

„Vielleicht schreiben deutsche Kinderbuchautoren einfach nicht besonders gut“. BÄHM! – Frau Herden macht sich darüber Gedanken



Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einer Kollegin über das Schreiben und die Qualität von Kinderbüchern. Thema war eines, das im letzten Jahr gar zu Protesten führte: der Fokus der großen Verlage auf Lizenzen und dass man nunmehr auf der Auswahlliste des Kinder- und Jugendbuchpreises kaum noch einen deutschen Titel findet.

Woran liegt das?

Nachdem wir Sterotypen wie „die Verlage gehen keine Risiken ein, darum kaufen sie Lizenztitel, die schon im Ausland erfolgreich liefen“ und „die Verlage gehen keine Risiken ein, darum lektorieren sie selbst wilde Bücher zum gefälligen Mittelmaß herunter“ abgehakt hatten, kam plötzlich ein Satz von meiner Kollegin, der mir noch immer im Kopf herumspukt:

„Vielleicht schreiben deutsche Kinderbuchautoren einfach nicht besonders gut“.

BÄHM!

Ich überlegte erschrocken und musste ganz ehrlich eingestehen, es gibt tatsächlich nicht so viele deutsche Kollegen, deren Bücher mich interessieren oder gar faszinieren, während mich einige Lizenztitel geradezu in einen Rausch versetzt haben. Und das im Kinder- und Jugendbuchbereich. Momentan lese ich wieder so ein Buch. Es soll für 12Jährige herhalten, doch bedeutet dieser Aspekt keine Grenze. Ein hyperempathisches Mädchen nimmt einen in klugen Worten mit auf eine Reise, die Innen und Außen völlig verschwimmen lässt, was durch fehlende Zeichen, um die wörtliche Rede zu markieren, noch verstärkt wird. Thematisch geht es um das Verschwinden, um das Erwachsenwerden und dass dies ein nie abgeschlossener Prozess ist. Zumindest nicht mental. Wunderbar! Aber nicht von einem deutschen Autoren.

„Ja, aber die Verlage erlauben es ja gar nicht, dass der deutsche Autor mal so richtig durchdreht, sich im Schreiben verliert, Satzzeichen ignoriert, Bilder entwirft, die einen herumwirbeln, Geschichten schreibt, die einen ganz leise töten oder laut gegen die Wand donnern“, höre ich es aus dem Autoren-Off jammern. Zumindest so ungefähr.

Aber stimmt das tatsächlich?

Ist es nicht auch so, dass man dem Verlag etwas nach dem Munde schreibt, damit man seine Miete bezahlen kann? Das ist für einen Kinderbuchautoren nämlich nicht einfach, gar ein großes Glück, sollte es ihm gelingen. Die Spiegel-Bestsellerliste gibt den Verlagen ja auch Recht, nicht wahr, denn das Volk scheint genau diese etwas einfache (oft lustige und gefällige) Kost zu goutieren. Oder geschieht das nur aus reiner Verlegenheit? Finden die Menschen da draußen die guten Bücher einfach nicht, weil die anderen so laut schreien? Muss man die Leute quasi erziehen oder ihnen zumindest eine deutlich erkennbare Vielfalt und Auswahl bieten? Aber ist es nicht auch so, dass die Massen gar nicht so gerne auswählen möchten, weil Auswahl eben auch Verantwortung bedeutet? Und wer übernimmt die heutzutage noch gern? Kleine, von Fachkräften geführte Buchhandlungen bieten für diese Fall zwar händeringend ihre liebevolle Hilfe an. Doch ignoriert fristen viele von ihnen ein notdürftiges Überleben oder sterben gar. Dabei kosten dort die Bücher genau dasselbe.

Das sind Dinge, die man nur schwerlich versteht, will man nicht zum Misanthropen mutieren.

Also schreibt der kluge Autor intelligenterweise dieser unsäglichen Spiegelbestsellerliste, dem Amazonranking und den erhofften Verkaufszahlen hinterher, oder? Ich möchte niemandem auf den Schlips treten, aber ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass das nicht soooooo weit hergeholt ist. Irritierend finde ich es dann jedoch, wenn im Nachhinein protestiert und gejammert wird, dass man mit eben diesen Titeln keine Literaturpreise einholt und einem zum Geburtstag vom Verlag kein großes Fest ausgerichtet wird.

„Vielleicht hast du recht“, sagte ich leise zu meiner klugen Kollegin und überlegte, wie das denn bei mir ist.

Mein erstes Kinderbuch schrieb ich Zack! in zwei Wochen, um meinem Herrn Papa zu beweisen, dass ich so etwas kann. Es muss irgendwie gut oder passend gewesen sein, denn ein großer Verlag kaufte es. Es war jedoch kein Kinderbuch. Dazu wurde es erst im Lektorat, das mich nicht nur schlaflose Nächte kostete, sondern auch Wutgebrüll, Millionen Tränen, Hass und Verzweiflung hervorbrachte. Es folgte noch ein zweistündiges Telefonat mit dem damaligen Programmleiter, der mir dabei mal eben die goldenen Regeln des Kinderbuchschreibens erklärte. Mein zweites und drittes Kinderbuch schrieb ich dann von vorn herein anders.

Zum Glück erschienen diese in einem kleinen Verlag, dessen Lektorin mich wieder zu mir zurückbrachte, weil sie meinen Humor und meine Gedankengänge verstand und es wagte, Bücher für Kinder zu gestatten, die nicht nur Witz und Abgefahrenes mochten, sondern auch Verstand und Intelligenz. Die in anderen Worten, den kleinen Leser nicht per se unterschätzte.

Trotzdem war ich noch nicht ganz da, wo ich hinwollte. Das merkte ich, wenn ich beispielsweise des nachts bei einem Glas Wein geschriebene Passagen am nächsten Morgen wieder löschte.

Ein Verlagswechsel eröffnete mir wieder eine neue Perspektive. Ich hatte das große Glück, mit 40 geschriebenen Seiten und einem damals noch etwas schwammigen Konzept einen Vertrag über drei Bände zu bekommen. Ich hatte zudem das große Glück, eine Lektorin an die Seite gestellt zu bekommen, die mit mir dermaßen gut harmoniert, dass ich mir sogar vorstellen könnte, mit ihr ein Jahr im VW Bus um die Welt zu fahren.

Und ich selbst hatte mir den Kniff überlegt, meinen erzählenden Helden hochintelligent sein zu lassen. Wer könnte so einer Figur guten Gewissens philosophische Gedanken, naturwissenschaftliche Erklärungen und Schachtelsätze absprechen?

Momentan bin ich mitten im dritten Band. Es scheint mir fast, als hätte ich mich mit diesen drei Büchern um Anton und Marlene noch freier geschrieben. Ich wage mich an Themen, die mich selbst stark berühren und denke: „Kids, da müsst ihr jetzt durch. Kommt mit oder lasst euch an der Biegung des Flusses begraben.“

Ob ich damit mal einen Preis gewinnen werde, weiß ich nicht. Ob die Bücher den Kindern gefallen werden, weiß ich heute auch noch nicht, und darum auch nicht, ob sie mir die Miete zahlen werden.

Aber ich bin verdammt aufgeregt. Und ich will lernen. Ich will lernen so zu schreiben, dass sich die Kinder (und vielleicht auch einige Erwachsene) mit meinen Büchern in einen Rausch lesen.

Montag, 13. April 2015

Glyzinien, Shades of Grey und der ästhetische Blick – Was ist eigentlich gute Literatur?


Der Mensch ist doch immer wieder unerwartet ambivalent. Also ich bin das. In Bezug auf die Literatur zum Beispiel. Das durfte ich heute morgen entdecken, als ich noch einige Augenblicke in einen neuen hochgelobten Roman hinein las und – ihn einfach nicht mochte. Obwohl ich die Autorin sehr schätze und große Erwartungen hegte.

Im ersten Moment war ich überrascht, dann ein wenig peinlich berührt. Nicht von diesem Buch, das mir nicht gefallen wollte, sondern von mir selbst. Wie konnte ich ein, von denen, die es wissen müssen, zur Literatur verklär ... ähm, erklärtes Buch nicht mögen? Und das nicht geschmäcklerisch oder auf den Inhalt bezogen, sondern tatsächlich von meinem Verständnis und Gefühl ausgehend, dass darinnen nicht das stattfand, was ich als eine gute Geschichte in einer schönen, berührenden Sprache wahrnehme. Wie anmaßend, oder? Immerhin bin ich nur Kinderbuchautorin und habe nie die deutsche Sprache an einer Universität studiert.

Stattdessen studierte ich die Architektur. Und siehe: Nach nur wenigen Semestern konnte ich über diese und ihre jeweiligen Eingangssituationen schwadronieren und belächelte Häuslebauer. Obwohl denen doch ganz eindeutig das Häuschen mit Walmdach und zwei Säulen davor ausnehmend gut gefiel.
Wahrscheinlich war denen auch völlig egal, was ich als angehende Architektin von ihrem gebauten Lebenstraum hielt. Das war ihnen wahrscheinlich sogar scheißegal.

Auch in Bezug auf die Literatur stimmte ich gedanklich des öfteren in den Kanon des „das ist kein gutes Buch, es ist es nicht wert gelesen zu werden, denn es ist weder Literatur noch hat es Relevanz“ mit ein. Zwei, drei Mal tat ich das sogar laut, also so, dass andere es hören konnten. Zum Beispiel meine Tochter, als ich ihr leidenschaftlich zu erklären suchte, was für eine dumme Idee es gewesen war, das Taschengeld für ein ganz schlimmes Buch ausgegeben zu haben. Obwohl ich dieses nie gelesen hatte. Natürlich nicht, es war ja schlimm. Dafür hatten das aber Millionen andere getan, die es schlicht mochten und Freude daran hatten.

Wer hatte denn nun recht? Und warum? Und wessen Meinung war die, die zählte? Und warum?

Heute morgen das Ganze also anders herum. Ich hatte gehört und gelesen, der schmale Band sei ein richtig gutes Buch quasi Teil eines Werkes. Allein ich empfand das nicht so. Und bevor es mir richtig klar wurde, hatte ich schon auf die arroganten wer auch immer geschimpft, die sich anmaßten, mir sagen zu wollen, was gut oder schlecht ist. Vor allem: Mit welchem Recht taten die das? Sie sprachen ja nicht von eigenen Empfindungen sondern von unumstößlichen Wahrheiten. Wer bestimmte die Parameter für solche Wahrheiten denn? Und für wen?

Idioten, dachte ich abschließend. Wir alle. 
Es fiel mir etwas schwer, doch ich überwand mich, und schlug das Buch zu. Ich werde es auch nicht wieder öffnen. Habe es aber trotzdem ins Regal gestellt. Das Maß der Revolte war erst einmal voll. So etwas will ja auch gelernt sein. Vielleicht lasse ich es in ein zwei Jahren heimlich in die Altpapiertonne fallen. Kleine Schritte.

Dann fiel mir die Architektur und ich mir selbst als angehende Architektin und vor allem gnadenlose Kritikerin mit ästhetischem Blick wieder ein.
Plötzlich sah ich vor meinem inneren Auge die unsäglichen Eingangssäulen von duftenden Glyzinien und wildem Wein, in dem die Amseln nisten, umrangt. Riesige Hortensienbälle im Vorgarten, die die falschen Butzenscheiben der Küchenfenster verdeckten. Vielleicht eine Bank mit weichen Sitzkissen, daneben zwei leere Weingläser. Unter dem Walmdach ein inzwischen vergessenes Piratenversteck. Ein Lachen, dass durch die Sonne im Wohnzimmer schwebte. Ein Zuhause.

Was soll also das Hochtrabende? Warum die Frage nach der Kunst, der Literatur, der Architektur?

Ein Buch ist erst einmal Buch, ein Haus ein Haus. Beides erschaffen von einem, der sich Mühe gab, im besten Falle einem inneren Drang folgte oder sich einen Traum erfüllte. Jeder einzelne Mensch, der sich nun davon in irgendeiner Form berühren lässt, macht es zu einem Kunstwerk, zu etwas Wertvollem. Mehr geht nicht. Alles andere ist Theorie.

Mittwoch, 14. Januar 2015

Verlieben Sie sich mal wieder!


Letztens lag ein Artikel auf meinem Bildschirm, der mir erzählen wollte, warum ich mich mal wieder verlieben sollte.
Also echt! Wem muss man denn zehn Argumente aufführen, damit er mal wieder Lust darauf bekommt? Mir nicht. Darum las ich diesen Artikel auch nicht.

Ich finde einen hypernervösen Puls, einen zusammengeknoteten Magen und einen permanenten in Wellen an- und absteigenden Schwindel einfach wunderbar. Ich mag es, wenn nichts mehr funktioniert, weil mein Gehirn und die klugen Gedanken darin irgendwo sind nur nicht in meinem Kopf. Nie fühle ich mich lebendiger, nie schöner, nie wunderbarer. Das Leben scheint ein Klax und wild und aufregend. Und die Zukunft, ach, wer braucht denn so was in solchen Zeiten?

Ich wäre bereit, allein es fehlt der andere. Auch wenn ich das eigentlich nicht so richtig verstehe, hat das sicher seine Gründe. Einer könnte sein, dass ich nicht so gerne unter Leute gehe. Zumindest ergibt sich da nicht so oft die Gelegenheit. Manchmal bin ich müde, manchmal ist gar nichts los im Heimatstädtchen, manchmal regnet es, manchmal kommt ein netter Film im Fernsehen. Gehe ich doch einmal hinaus, dann meistens in Begleitung meines besten Freundes. Wäre dieser schwul, würden wir vielleicht gemeinsam nach Männern Ausschau halten. Da er das nicht ist, unterhalten wir uns und lachen zusammen. Wahrscheinlich wissen die meisten gar nicht, dass wir beste Freunde sind.

Der Alltag selbst bietet mir nicht ganz so viele Gelegenheiten eines fremden Mannes auch nur einmal ansichtig zu werden. Viele Paare sollen sich ja beruflich gefunden haben. Die Kinderbuchbranche ist allerdings fest in weiblicher Hand. Und hier in der Bude, mein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt, hält sich auch niemand auf. Ich habe zur Sicherheit noch mal in alle Ecken geschaut, auch in die eher uneinsichtigen, da war aber keiner, der hier mal verloren ging. Manchmal klingelt der Postbote. Er ist sehr nett, ich möchte aber trotzdem nicht, dass er es zweimal täte. Alle anderen scheinen verheiratet. Ich finde das etwas seltsam, weil die Statistiken ja eigentlich anderes aussagen.

Irgendwo las ich dann doch einmal, dass die besten Orte des Kennenlernens das Fitnessstudio und der Supermarkt samstags gegen 16 Uhr seien. In einem Fitnessstudio halte ich mich eigentlich nie auf. (Der Satz stimmt auch ohne das eigentlich.) Einmal war ich zufällig samstags gegen 16 Uhr im Supermarkt. Nein, nein, nein, der Autor des Ratschlags kann nicht diesen gemeint haben. Außerdem gehe ich auch nicht gerne Einkaufen. Das Überangebot und das fahle Neonlicht verursachen mir Seh- und Balanceprobleme. Menschen, die mich im Supermarkt antreffen, vermittle ich wahrscheinlich das Gefühl schwer krank, psychisch labil oder doch wenigstens irgendwie wunderlich zu sein. Ich glaube nicht, dass ich mich in jemanden verlieben könnte, der so etwas attraktiv fände.
Manchmal versuche ich mich in einen Schauspieler zu verlieben, quasi um nicht aus der Übung zu kommen und ein bisschen aus Verzweiflung. Momentan habe ich ein Techtelmechtel mit Matthew Mcconaughey. Nun ja.

Ein anderer Artikel wollte mir gleich im Anschluss zehn Gründe nennen, warum es mit dem Verlieben gar nicht klappen kann. Nicht dass jemand bei der Lektüre des ersten Textes etwas übermütig geworden wäre. Beinahe hätte ich den gelesen. Dabei wäre das reine Zeitverschwendung gewesen.

Meinen Grund nannte ich bereits, und die anderen, die mir da eingeredet werden sollen, ahne ich. An vorderster Stelle: Sie sind zu anspruchsvoll! Ha! Ich frage mich ja schon hin und wieder, wer solche Artikel verfasst. Mir fallen da nur zwei Typen ein: entweder ein Mann mit schütterem Haar und gedrungener Statur oder eine vom Leben und der Liebe enttäuschte Frau, die sich nicht traut, daran etwas zu ändern, aber nicht müde wird, darüber zu meckern und hin und wieder resigniert zu seufzen.
Denn was hier als zu hoher Anspruch bezeichnet wird, nenne ich: Ich weiß jetzt endlich, was ich will! Und das möchte ich mir auch nicht nehmen lassen. Immerhin dauerte es verdammt lange, bis ich es wusste. Und diese Zeit des Lernens war nicht nur lange, sondern auch sehr schmerzvoll. Denn ich habe mir dieses Wissen nicht durch Beobachten und Nachdenken erarbeitet, sondern empirisch, mit Leib und Seele im Leben und Lieben, mit allem, was dazu gehört. Allerdings ohne Beobachten, Nachdenken oder vorherigem Prüfen. Es ist also ein mit Schmerzen geborenes Wissen, dem ich auf keinen Fall den Namen Hoher Anspruch geben werde. Schon gar nicht mit einem Zu davor.

Ich weiß, dass in solchen Artikeln auch dazu geraten wird, sich einmal selbst zu betrachten. Alles klar, das mache ich gerne. Ich mag eigentlich, was ich da im Spiegel sehe. Endlich, möchte ich sagen. Die Jahre des Zweifelns – erstaunlicherwiese waren das ja exakt die, in denen es überhaupt gar nichts zu Zweifeln gegeben hätte, wie ich heute auf Fotos erkennen muss – sind beinahe vorbei. Klar sehe ich, dass mein inneres Alter (25) und mein äußeres Erscheinungsbild (43) nicht mehr so richtig deckungsgleich sind. Das gefällt mir auch nicht. Aber ich erkenne noch ganz deutlich das Potential. Darum habe ich wieder mit dem Joggen angefangen, quäle mich tagsüber durch zwei Wasserflaschen hindurch, lege mich manchmal vor zehn zum Schlafe nieder – davon möchte ich aber vehement abraten, jeder weiß, dass so etwas völlig kontraproduktiv ist und allzu oft in mitternächtlichem Wehklagen und einer Flasche Verzweiflungswein in den frühen Morgenstunden endet – und denke an ganz viele positive Sachen. Matthew Mcconaughey zum Beispiel.

Nein, nein, nein – ich brauche keine Argumente für das Verlieben noch Fremdgründe, warum es nicht klappt. Aber vielleicht einen Fremden.

Mittwoch, 7. Januar 2015

Mehr Glamour – der alljährlich scheiternde Versuch


Vorgestern schrieb ich im Facebook über meinen ersten 2015er Jogginganlauf. Darin erwähnte ich auch meine schlabbrige Jogginghose, die ich dabei trug. Die hatte ich bewusst gewählt. Zum Ersten hält die ein wenig warm und war auch gerade sauber, außerdem besitze ich keine Lauffunktionskleidung. Ich laufe nämlich weder besonders oft noch sehr weit. Selbst als wir uns vor ettlichen Jahren kilometer- und stundenlang durch die heimischen Wälder quälten, trug ich eine Jogginghose dieser Art. (Vielleicht gab es damals aber auch noch keine Lauffunktionskleidung für Jedermann, das weiß ich nicht mehr.)
Jedenfalls kommentierte ein lieber Kollege, dass ich im beschriebenen Outfit auch zu einer Lesung hätte unterwegs gewesen sein können. Beweise der Richtigkeit dieses Kommentars sind die unzähligen Lesebilder, die ich im letzten Jahr veröffentlichte. Eigentlich um das Vorlesen populär zu machen und dem Ganzen mehr Glamour zu verleihen.
In der Jogginghose?, mag der eine oder die andere zu recht fragen.

Darum also der große Plan: Mehr Glamour! Mae West sagte einmal: „Wie Nächstenliebe sollte auch Glamour in den eigenen vier Wänden beginnen." Also räumte ich zuallererst unsere Bude auf.
“Und? Was sagt ihr?”, fragte ich den gemütlich flegelnden Nachwuchs erwartungsvoll erregt.
“Wozu?”, kam die gleichgültige Antwort.
“Na, zu der supertoll aufgeräumten Wohnung, in die der Glamour nun einziehen wird!”
“Ach, du hast aufgeräumt?” Und nach einem lässigen Blick durchs Ambiente: “Toll.”
Als die beiden etwas später irgendwoanders hingegangen waren, hatten sie auch das glamourbereite Aufgeräumte mitgenommen und etwas dagelassen, das mir ein leicht verzweifeltes Stöhnen entlockte. Ich zog die Jogginghose an und räumte es wieder weg.

Für den Glamour am Leibe hatte ich mir drei Kleider gekauft. Zumindest schon einmal das. Die lagen allerdings noch unanprobiert etwas traurig herum, während ich die Jogginghose nicht nur zum Laufen und Aufräumen trug. Dabei hatte ich unter dem Kommentar des lieben Kollegen mit diesen neuen Kleidern sogar schon angegeben.
Nach dem Aufräumen schlüpfte ich also probeweise hinein. Doch dann legte ich sie schnell in die Einkaufstasche zurück. Eines war kein bisschen glamourös, eines hatte ein sehr auftragendes Muster und eines sah an den Schultern irgendwie komisch aus. Das musste ich mir trotz hoffnungsvollem Gezupfes schließlich eingestehen.

Außerdem drang ganz deutlich ein Lachen vom Sofa. Da saß doch noch jemand, hatte sich ungesehen in die Kissenlandschaft gemorpht und zockte irgendwas auf dem Smartphone. Das Lachen tat mir weh. Denn der, der dort saß, war eigentlich jemand grundsätzlich Wohlwollendes, zumindest von mir und meiner guten Laune Abhängiges, wollte von mir versorgt und gepflegt werden und war mein eigen Fleisch und Blut.
„Hast du etwa gerade gelacht? Über mich?“
„Nein, warum sollte ich?“
„Vielleicht wegen der Kleider.“
„Quatsch. Aber vielleicht sind die ein bisschen eng.“
„Eng?“ Also, das war mir gar nicht aufgefallen. „Hey, ich habe sieben Kilo abgenommen!“
„Echt? Das sieht man gar nicht.“
„Vielleicht weil der Zeitraum von fünf Monaten etwas lang war und du mich jeden Tag siehst“, fauchte ich.
„Mama, beruhig dich mal. Ich fand dich vorher doch auch nicht zu dick.“ Dann stand er auf und kam auf mich zu. „Ich glaube, du brauchst jetzt mal eine Umarmung.“ Nicht mehr lange und er wird größer sein als ich. Seltsam. “Mama, ehrlich, du siehst toll aus. Egal was du anhast.“
Glamour funktioniert irgendwie anders, aber die Nächstenliebe ist hier in der Bude ganz groß.

Sonntag, 4. Januar 2015

Lebensweisheiten über der Modale – Frau Herden und Khalil Gibran


Wer bekommt ihn nicht, diesen Drang zum neuen Jahr die Bude zu lüften und ein wenig aufzuräumen? Mir fiel dabei dieses Bild in die Hände. Das hatte ich einst über die Wickelkommode gehängt.
Die stand erst in einer Sousterrain-Wohnung von 33 qm, die ich mir mit dem nigelnagelneuen Töchterchen teilte, später in einem kleinen Häuschen am Rande und dann in einer Altbauwohnung inmitten der Stadt wo sie nun dem Ablegen des Söhnchens beim Säubern diente.
Inzwischen sind wir vier (Töchterchen, Söhnchen, die Kommode und ich) noch zweimal umgezogen.

Mir gefiel die kleine (ja, was ist es eigentlich? Ein Rat? Ein Gedicht?) Lebensweisheit des libanesischen Philosophen Khalil Gibran sehr, darum hatte ich sie aufgeschrieben und gerahmt. Damals wusste ich noch nicht, dass es manchmal sehr schwer sein würde, sich als Mama daran zu halten.

Als die Wickelkommode wieder nur noch Kommode war (Weichholz, Ende 19. Jahrhundert, von mir damals 16-Jährigen gekauft und in stundenlanger Arbeit nach der Schule von drei Farbschichten befreit, geschliffen und gewachst), war das kleine Bild untergetaucht oder verschollen, irgendwo im herumgeschleppten Hab und Gut.

Als ich es gestern wieder in Händen hielt, musste ich lächeln. Heute sind die Kinder beinahe groß und ich bin Kinderbuchautorin geworden, damals vor 17 Jahren nicht einmal ein Traum von mir.
Als Mutter sollte ich dem Gedicht nach meinen Kindern Liebe geben, aber nicht meine Gedanken. Das wollte mir nicht immer gut gelingen und ich haderte mit Herrn Gibran.
Auch heute, als Kinderbuchautorin, erzähle ich nicht nur Geschichten, sondern vermittle und präsentiere in diesen Geschichten auch meine Gedanken, und das dort, im Haus von Morgen, und nicht nur in meinen Träumen.
Darüber muss ich noch ein wenig nachdenken.

Die alte Kommode haben wir übrigens immer noch. Sie steht im Flur und birgt Beutel, Taschen, Mützen und noch nie getragene Schals und Handschuhe.

Vor langer Zeit, der Sohn war noch ein Söhnchen und wir waren einmal weniger umgezogen, lag etwas darauf, von dem das Kind wollte, dass ich es holen würde.
"Wo ist es denn?", fragte ich.
"Auf der Modale."
"Ähm, wo bitte?"
"Na, auf der Modale!"
Ich bekam einen sehr ärgerlichen Blick zugeworfen, der sagte: Was soll deine unsinnige Fragerei?! Doch ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon mein Söhnchen sprach.
"Schatz, ich hole es dir gerne, aber bitte, wo ist es?"
"AUF DER MODALE!", schrie der kleine Schatz.
"Was ist eine Modale?", fragte ich leise.
"NA, DIE MODALE! IM FLUR! DIE MODAA... NEE, DIE AMODEL! MAMA! DU WEISST DOCH, WAS ICH MEINE!"
Nein, das tat ich nicht, aber ich beobachtete fasziniert mein Kind, dass so wütend wurde, weil ich nicht kapierte, was es meinte.
"DIE AMODEL! MAMA! DIE ... DIE ... DIE WICKELAMODEL!!!"
Da fiel bei mir endlich der Groschen.

Meine Freundin Manuela Olten hat übrigens genau über diese Wut, wenn die Eltern ihr Kind nicht sofort verstehen, ein wunderbares Bilderbuch gemacht. Mama?

Mittwoch, 31. Dezember 2014

Das große Glück – Frau Herden tagträumt


Der letzte Tag des Jahres ist eine feine Gelegenheit, über Glück zu sinnieren. Eigentlich mache ich das ja täglich, sozusagen am Alltag und an den Sorgen vorbei. Ich sinniere allerdings nicht nur darüber, sondern visualisiere mein zukünftiges, mögliches, potentielles Glück sogar und das äußerst intensiv. Am allermeisten male ich mir jedoch das unmögliche Glück in schillernden Farben aus. Meistens, eigentlich immer, geht es um die Liebe, den Ozean mit einem perfekten Break und Schokoladentörtchen mit cremiger Karamellsoße. Nun ja.

Irgendwo und vor vielen Jahren las ich mal, wenn man die Dinge nur recht visualisiere, dann würden sie auch geschehen. Vielleicht stand da auch, dass Dinge und Situationen, die man nicht fest im Visier hätte, nicht eintreten würden, da sie zu beiläufig gewünscht und erstrebt wären. Der Umkehrschluss hat mir aber schon immer besser gefallen. Darum verbringe ich täglich und besonders nächtlich einige Stunden mit intensivem Tagträumen.

Himmel, wie phanastisch könnte mein Leben sein! Es liegt alles da und klar vor mir und es ist äußerst erstaunlich, dass diese Dinge nicht tatsächlich geschehen. Ich gebe mir nämlich verdammt viel Mühe mit diesen Tagträumen: spreche englisch, wenn es notwendig ist, berechne genau, wann ich mit welchem Sport und welcher Ernährung die angebrachte und kraftvolle Figur haben werde, überlege, welche Frisur möglich wäre und wie die im Sommerwind aussehen würde, was ich trüge und schließlich wieviel Geld ich verdient haben müsste, um an den Orten zu sein, an denen meine Tagträume so stattfinden oder wie ich sonst da hinkäme und ob es den Kids dort auch gefiele.

Weil ich das Tagträumen also nahezu perfektionistisch betreibe, – ich vermute mal, es handelt sich dabei um ein besonderes, genetisch bedingtes Talent, vielleicht jenes, das mich auch beruflich zur Geschichtenerzählerin hat werden lassen – tauche ich aus diesen Wachträumen mit erregt klopfendem Herzen und voller Vorfreude auf, stelle mich vor den Spiegel und lächele mein zerknautschtes Gegenüber an: Ich schreibe uns hier raus, Baby!

Manchmal dauert es Stunden, bis ich in der Realität wieder angekommen bin. Zumindest in Zeiten, die ich viel alleine verbringe, was ich sehr gerne tue und berufsbedingt auch tun muss. (Die Schriftstellerei ist ein einsames Geschäft, wer Alleinsein nicht mag, der muss etwas anderes machen.)
Einmal hatte ich sogar Angst, dass ich gar nicht wieder aufwachen wollte. 

Zum Glück bekam ich dann aber Lust auf ein Pflaumenmusbrötchen und einen Kaffee und es war keine Milch im Haus und irgendjemand musste mit einem buttrigen Messer ins Pflaumenmus gestochen sein, denn es schimmelte leise vor sich hin.
Also schlüpfte ich in meine Lieblingsjogginghose und putzte mir die Zähne, mit der Bürste im Mund bestückte ich schnell noch eine Waschmaschine, dann musste ich die 88 Stufen von unserer Wohnung hinunter zum Bäcker um die Ecke hüpfen, den Müll und das Altglas nahm ich auch gleich mit, so etwas bedenkt man, wenn man 88 Stufen über der Stadt wohnt, im Briefkasten waren nur eine Rechnung, die ich nicht zuordnen konnte, und ein Elternbrief (oh Mann, das bedeutete erzieherische Maßnahmen, die ich selbst nicht mochte), und als ich dann endlich mit dem Kaffee und einem Laugencroissant (der Bäcker hatte kein Pflaumenmus im Angebot) am Tisch saß, war ich dermaßen im Alltag angekommen, dass ich auch gleich am aktuellen Manuskript weiterschreiben konnte. Es gelang mir eine ganz passable Passage, an der ich noch ein wenig feilte, bis sie mir richtig gut gefiel, die Kids kamen von der Schule und wir aßen, redeten und alberten etwas herum.

So ist das mit dem großen Glück. California waiting, oder so.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Eine Adventskalendergeschichte



Wir saßen in der teuren Villa der Fotografin beim siebten, achten oder zwanzigsten Kaffee.

„Kommt Ihr Lieben, ein oder zwei Ideen werden wir doch wohl noch finden“, ermunterte sie uns. Wir Lieben waren die Assistentin der Fotografin, der Stylist, dessen Assistent, die Visagistin, die Hairstylistin nebst Assistentin, die Beautyredakteurin eines Frauenmagazins, die Assistentin der Beautyredakteurin eines Frauenmagazins und ein weibliches Fotomodell mit braunem Haar und werbewirksamen hellen Augen. Ich.

Seit zwei Tagen produzierten wir eine Fotostrecke mit dem Titel: 24 Tipps für ein entspanntes Weihnachtsfest. Zweiundzwanzig dieser Tipps hatten wir im Kasten. Keiner davon hatte uns irgendwie entspannt. Die restlichen zwei sperrten sich gänzlich. Es wollte niemandem auch nur noch eine Winzigkeit einfallen, wie man ein entspanntes Weihnachtsfest angehen könnte, wir wussten seit Stunden nicht einmal mehr, was ein entspanntes Weihnachtsfest überhaupt ist. Das war doch nur eine Legende! Eine Legende allerdings, die überdauern würde, da wir seit zwei Tagen alles für deren Überlieferung taten.

Wir hatten sämtliche Hausfrauenkniffe und Milchmädchenweisheiten ausgeschlachtet, wir hatten alle Religionen abgeklopft, der Stylist hatte seine Oma und die ihre Nachbarin angerufen und die Visagistin durfte mit ihrem rudimentären, homöopathischen Wissen auftrumpfen, das sie sich einst in einem vorzeitig abgebrochenen Wochenendseminar zugelegt hatte.

„Müssen es denn unbedingt 24 sein?“ Das war der Assistent des Stylisten, der da leise fragte.

Wir anderen blickten hoffnungsfroh auf die Beautyredakteurin. Ja, warum eigentlich vierundzwanzig?

„Na, diese Zahl liegt ja wohl nahe“, sagte diese jedoch.

Das lag sie wohl, mussten wir enttäuscht zugeben. Denn die Idee war ein dem Dezemberheft beigelegter Adventskalender. Hinter jedem Türchen sollte sich ein entspannender Tipp verstecken.

„Wir könnten hinter die 24 einfach Wir wünschen ein entspanntes und inspirierendes Fest! schreiben“, schlug die Assistentin der Beautyredakteurin vor.

„Genau. Und am Nikolaustag wünschen wir einen prall gefüllten Schuh. Dann hätten wir sie alle“, sagte die Assistentin der Fotografin.

Ich musste kichern. Die Beautyredakteurin blitzte einmal in die Runde. Wir verstanden, unterdrückten ein Stöhnen und taten weiterhin so, als dächten wir nach.

„Wie wäre es denn mit dem guten, alten OHM?“, rief die Fotografin und wir zuckten zusammen, weil sie so rüde die eingekehrte Stille zerbrochen hatte.

„Wir haben schon zwei Yoga- und zwei Atemübungen. Wird ein bisschen viel, oder?“

„Unsinn, das ist doch etwas völlig anderes. Komm Antje! Wir probieren das aus.“ Die Fotografin gab sich große Mühe ihre lahme Idee mit Verve zu unterlegen, sprang wie aufgezogen herum und versuchte jeden, aus der ihn umklammernden Erschöpfung zu reißen.

Ich setzte mich auf eine vom Stylisten schnell ausgebreitete indische Decke ins Fadenkreuz der Scheinwerfer. In den Schneidersitz, den ich irgendwie für passend hielt. Meinen Kopf ließ ich in den Nacken sinken. OHM.

„Wie sieht das denn aus, wenn einer so ein entspannendes OHM von sich gibt? So doch sicher nicht“, zweifelte die Beautyredakteurin.

Alle beäugten mich kritisch.

„Ich könnte meine Handgelenke auf die Knie legen, die Hände nach oben abwinkeln und die Fingerspitzen zusammenführen,“ schlug ich vor.

„Ja, mach das doch mal.“

Acht Augenpaare lagen hoffnungsvoll auf mir.

„Also, ich weiß nicht“, murmelte die Fotografin.

„Vielleicht wenn sie die Augen schließen würde?“ Zustimmende Mhms wurden laut. „Und mach doch mal einen runden Mund, als würdest du gerade das O ertönen lassen.“

„Nicht schlecht, oder?“, sagte jemand, den ich nicht sehen konnte.

Jeder wollte das, was er sah, entspannend finden. Jeder wollte endlich nach Hause gehen. Doch die Wahrheit ist manchmal augenscheinlich, besonders wenn man sie zu beugen versucht.

„Und wie wäre es mit dem MH?“, kam ein leiser Vorschlag. Ich glaube von der Visagistin.

„Also, wenn ihr mich fragt, das sieht total bescheuert aus.“

Das hätte ich ihnen schon vorher sagen können. Über das zustimmende Gemurmel ärgerte ich mich dennoch. Die anderen sich aber auch.

„Auf der anderen Seite ist das Bild nachher drei auf drei Zentimeter groß, man könnte es also gar nicht so genau erkennen“, erinnerte die Fotografin.

„Na, dann machen wir das jetzt so“, bestimmte die Beautyredakteurin.

Unverhohlenes Jubeln erfasste alle. Die Fotografin griff nach der Kamera und drückte ein paar Mal auf den Auslöser. Mit gespitztem Mund ließ ich das Mh ertönen. Einmal zwischendrin entspannte ich mich  ganz kurz. Nur aus Versehen.

„So, das hätten wir. Und nun?“

„Singen! Wie wäre es denn mit Singen?“, fragte der Visagist.

„Ja, Singen finde ich gut. So etwas macht man in der Vorweihnachtszeit“, ging die Beautyredakteurin auf den hoffentlich letzten Vorschlag ein.

Also schmiss ich mich in eine Pose, die meiner Meinung nach ein von Herzen kommendes Singen darstellte.

„Versuch es noch mal anders“, sagte jedoch die Fotografin.

Ich versuchte es anders.

„Nein, das ist nicht überzeugend. Sing mal laut.“

„Laut? Also so, dass ihr es hören könnt?“, fragte ich erschrocken.

Ich wollte niemanden enttäuschen. In Gedanken stellte ich mich alleine unter die Dusche und intonierte mit kläglicher Stimme einen aktuellen Popsong, von dem ich die erste Zeile kannte. Ganz deutlich konnte ich ein Kichern vernehmen.

„Vielleicht eher etwas Weihnachtliches?“, knurrte die Beautyredakteurin.

Auf die Schnelle fiel mir nur Vom Himmel hoch, da komm ich her ein. Ich hasse dieses Lied, weil ich schon in der Vorschule des Magdeburger Domchors damit scheiterte. Trotzdem krähte ich die ersten drei Zeilen im vollen Bewusstsein, dass mein Kopf vor lauter Anstrengung die gnadenlosen Höhen zu erklimmen, rot wenn nicht gar lila anlief während sich blaue Adern aus meinen Schläfen drückten. Ansehnlich, gar entspannungsmotivierend, sah das ganz sicher nicht aus.

Alle starrten der Fotografin über die Schulter auf das kleine Display der Kamera.

„Sieht nicht gut aus,“ unterbrach der Assistent des Stylisten die angespannte Stille.

„Wie wäre es denn damit?“, erklang die vorsichtig fragende Stimme der Assistentin der Beautyredakteurin.

Noch bevor ihr zagendes Stimmchen ganz verhaucht war, gab es ein ohrenbetäubendes Scheppern.

„Oh, nein, meine Tuba!“, schrie die Fotografin entsetzt und beruhigte sich erst, als sie ganz sicher war, dass ihr riesiges Instrument keine Delle davongetragen hatte.

„Super. Machen sie doch mit ihrer lieben Familie mal wieder Hausmusik. Und die Mutter bläst die Tuba“, sagte der Assistent des Stylisten und feixte mich erwartungsvoll an.

„Das ist nicht euer Ernst,“ protestierte ich. Ich behauptete zwar immer, mir für nichts zu schade zu sein, aber hier tat sich eine Grenze auf. Mit diesem Ungetüm wollte ich mir nicht die drei auf drei Zentimeter hinter der Nummer 24 eines Adventskalenders teilen.

Aus schierer Verzweiflung und in Ermangelung einer besseren Idee, begann ich aus vollem Halse Oh, du Fröhliche zu krakeelen, wobei ich meinen Körper in etwas verrenkte, was ich so ähnlich mal bei einer Yoga turnenden Freundin sah.

„Vielleicht ist die Idee mit dem Wunsch für ein entspanntes Weihnachtsfest hinter der 24 doch nicht so schlecht.“ Mit diesen Worten und einem höchst irritierten Blick auf mich unterbrach die Beautyredakteurin meine lautstarke, gymnastische Übung und erlöste uns endlich.

Später fuhr sie mich ins Hotel. Während ich aus dem Seitenfenster in den lauen Sommerabend starrte, stellte ich mir unzählige Frauen vor, die erwartungsfroh die Türchen ihres Adventskalenders öffneten und die von einem modernen Frauenmagazin abgesegneten Entspannungstipps befolgten. Wie viele würden am 23. Dezember in verkrampfter Haltung am Boden kauern, vielleicht mit einer indischen Decke unter dem Hintern und ein OHM in den Raum stöhnen?

„Sag mal, hast du gar kein schlechtes Gewissen?“ fragte ich die Beautyredakteurin.

„Warum?“

„Na, wegen des Quatsches, den wir uns da ausgedacht haben. Stell dir vor, die Leserinnen machen das wirklich nach.“

„Es zwingt sie doch niemand dazu.“

„Na, aber viele glauben doch, was in der Zeitung steht.“

„Wir machen die Zeitschrift, um zu unterhalten, nicht mehr und nicht weniger.“

„Trotzdem hast du doch eine gewisse Verantwortung“, ließ ich nicht locker.

„Aber du hast doch auch mitgemacht“, sagte sie leise.

„Wenn ich es nicht gemacht hätte, dann hättet ihr einfach ein anderes Model gebucht. Und ich brauchte das Geld.“

Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an. Den Rest des Weges schwiegen wir.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Oh, du Fröhliche! – Geschenke suchen und finden in der Adventszeit



Als ich ein kleines Mädchen war, stöberten meine Schwester und ich in der Adventszeit durch die 60 Quadratmeter unserer sozialistischen Wohnung, spähten hinter alle Schranktüren und durchkramten – vorsichtig, ganz vorsichtig – die Kästen unterm Sofa und die Schubladen im Schlafzimmer meiner Eltern. Wir waren schnüffelnde Spurensucher auf der Jagd nach den versteckten Weihnachtsgeschenken.
Nachdem wir nämlich herausgefunden hatten, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt, erklärten wir das Geschenkeaufspüren in der Adventszeit zu unserer Passion. Sehr zum Ärger meiner lieben Frau Mama, die in jedem Jahr erneut ein Versteck in der viel zu kleinen Wohnung suchen musste, das doch immer wieder von uns gefunden wurde, wie ihr verräterische Schokoladenfingerabdrücke oder sehr ungeschickt zurückgelegte Kleiderstapel erzählten.
Ich mag mir ihre Enttäuschung gar nicht vorstellen, wenn sie freudig etwas Schönes für ihre Mädchen gefunden hatte, das aus irgendeinem Grunde aus dem öden Plansollwarenangebot der ehemaligen DDR, die sich ja auch nicht entblödete Weihnachtsengel geflügelte Jahresendzeitfiguren zu nennen, herausstach, und dieses Besondere dann bis zur Bescherung verwahren wollte, um es uns auswickeln zu sehen während sich unsere kleinen Münder zu einem freudigen Oh formen und unsere Augen Sternen gleich strahlen würden.
Das mussten wir dann am heiligen Abend spielen. Unter den Argusaugen unserer Mama, die uns nicht verraten hatte, dass sie wusste, dass wir wussten, sondern uns die freudige Überraschung aufführen ließ. Wir befürchteten erst, dann ahnten und schließlich erkannten wir siedend heiß, dass sie unser Spiel durchschaute. Oh, wie bitter brannte die gerechte Scham in unseren Herzen unterm geschmückten Tannenbaum.
Warum taten wir es dann aber im nächsten Jahr wieder?
Ich weiß es nicht. Es war vielleicht dieser Kribbel aus Jagdfieber und erwartungsvoller Vorweihnachtszeit. Dieses „Ob es schon Zeit ist?“ oder das „Hast du gesehen, sie trug heute einen großen Beutel nach Hause und ist gleich im Schlafzimmer verschwunden?“ Nach den versteckten Geschenken zu suchen, gehörte einfach dazu.
Und wie groß war die Freude, wenn wir doch nicht alles entdeckt hatten, wenn es doch noch eine echte Überraschung gab, etwas, das wie vom Weihnachtsmann gekommen war, das wir nicht gefunden hatten, weil wir es vielleicht nicht einmal zu wünschen gewagt hatten.

Wie sehr unser Verhalten meine Mutter ärgerte, enttäuschte, vielleicht sogar verletzte, kann ich nur ahnen. Ich weiß aber, wann es aufhörte. Das war 1982. Aus irgendeinem Grunde hatte die Regierung beschlossen, das jährliche Plansoll an Schokoladenwaren wäre bereits im Sommer erfüllt gewesen. Es gab keine Weihnachtsschokolade. Ich war damals für die kleinen täglichen Einkäufe zuständig. Als ich vom Schokoladenmangel hörte, machte ich das zu meiner Mission: Ich würde dafür sorgen, dass meine Familie am heiligen Abend ein Stück Schokolade essen konnte.
Wann immer sich über den Herbst irgendwo lange Schlangen bildeten, ich stellte mich hinten an. Es konnte sich am anderen Ende nur um den Verkauf von Weihnachtsschokolade, Orangen oder Mohrenköpfen handeln. (Mohrenköpfe kaufte ich übrigens nie, ich war mir unsicher, was das eigentlich sein sollte.) In wie weit meine Familie überhaupt mitbekam, in welcher selbst erklärten Lage ich mich befand, weiß ich nicht. Aber als ich mir zu überlegen begann, wo ich die eventuell aufgespürte Schokolade bis zum Fest verstecken könnte, war der Zauber plötzlich gebrochen. Das war irgendwie schlimmer, als die Wahrheit über den Weihnachtsmann.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Ich habe die Socken schon an – Es ist kalt, doch das Kind trägt Sommer


Heute haben wir den 3. Dezember. Seit einigen Tagen ist es nun kalt geworden. Doch noch, muss man sagen, in diesem wärmsten aller Jahre seit Anbeginn der Wetteraufzeichnungen. Ich gebe zu, das ist verwirrend. Trotzdem. Es gibt da ein Phänomen, welches ich schon so lange beobachte, da ich Kinder habe, und das ich bis heute noch nicht verstanden habe: Kinder, Jungs, zumindest mein Sohn zieht sich nicht gerne warm an.

Vorgestern brachte ich das Altpapier runter. Die Tonne war gerade geleert worden und stand darum auf der Straße. An der deshalb leeren Stelle in der Hofeinfahrt lag eine schwarze Jacke. Die Jacke, die mein Sohn angeblich seit Tagen draußen trug. Erschüttert blieb ich davor stehen. Wie lange lag sie da schon? Die Tonne wird alle 2 Wochen geleert. Etwa solange bestand ich auf die warme Jacke, wenn mein Kind das Haus verließ. Die ersten 3 Tage gab es deswegen lautstarke Diskussionen. Danach nicht mehr. Danach hatte er sie hinter der Altpapiertonne versteckt.
„Zieh bitte die warme Jacke an.“
„Hab ich.“
Tür zu.
Ich stehe nicht neben unserer Wohnungstür und überprüfe, ob mein Sohn eine Jacke trägt beim Gehen und Kommen. Wer friert denn schon gerne freiwillig? Und vor allem: Warum?

Ich nahm das klamme, feuchte, schwarze Ding mit hoch in die warme Wohnung.
„Brauchst du eine neue Winterjacke?“, fragte ich den Heimkehrenden und beobachtete heimlich, wie er versuchte, beim Antworten nicht mit den Zähnen zu klappern.
„Nö, wie so? Ich hab´ doch die schwarze.“

Vielleicht sind Jacken per se uncool, dachte ich. Aber eine schnelle Überprüfung (in unserer Straße liegen 2 Gymnasien) brachte keinerlei Beweis für diese These.
Was war es also dann?

Ich erinnerte, dass das schon immer Thema war. In jedem zur Neige gehenden Herbst musste ich schließlich die Bermudashorts verstecken, damit mein Kind gezwungenermaßen in der morgendlichen Eile zu den langen Hosen greifen musste. Der Abschied von den Sommerklamotten ist jedes Jahr ein schmerzhafter und langwierig bis zum ersten Schnee.
Vielleicht weil dünne Shirts und kurze Hosen einfach leichter sind, weder auftragen noch kratzen, Bewegungsfreiheit gewährleisten und von besseren Zeiten erzählen? Oder ist das Anziehen selbst eigentlich etwas ganz und gar Unnatürliches und daher Unangenehmes? Das ließ mich mein Kind zumindest von Anfang an glauben. Ganz besonders Jacken und – nicht zu vergessen – Socken scheinen Höllenqualen zu bedeuten.


Ich habe ein Foto meines noch kleinen Sohnes. Sauer und aufmüpfig schaut er in die Kamera. Die dahinterstehende Mutter musste sich das Lachen verkneifen. Denn gerade hatte er ihr folgende Worte um die Ohren gefeuert: „Ich habe meine Socken schon an!“ Einen grandiosen Witz hatte er jedenfalls  immer.

Heute liegt draußen sogar Schnee. Das ist sichtbare Kälte. Vielleicht ist das eventuell Jackenwetter?