Sonntag, 10. November 2013

Der kleine Buchladen – Freude und Leid – "wortwahl" in München

Nach meinen Lesungen in München wandelte ich noch etwas zwischen den Schiffen und Fliegern des Deutschen Museums – (das in seiner Physikabteilung überraschend trocken und ermüdend daher kommt, also eigentlich ganz so wie mein damaliger Physiklehrer, dabei liebe ich die Physik!) – herum und verlor mich anschließend im gegenüberliegenden Viertel zwischen Gärtnerplatz und Viktualienmarkt.


Plötzlich stand ich in der Reichenbachstraße Nummer 15 vor der qualitativ anspruchsvollen Auslage eines Buchladens. Von außen geahnt, von innen bestätigt – eine grandiose Auswahl an Kinder-, Kunst-, Koch- und Designbüchern erwartete mich im überbordenden Lädchen.


Natürlich entdeckte ich sofort die Kinderbücher all meiner lieben Kollegen und dann lachten mir auch meine Kurt-Bände entgegen. Wahrlich, hier bewies jemand Geschmack. :-)


Scherz beiseite, das Angebot ist riesengroß, sehr besonders und einfach wunderbar. Hier tut jemand etwas für die Lesefreude und die Buchkultur.
"Wie heißt denn dieser Laden hier?", fragte ich, denn ein Schild konnte ich nirgends entdecken. wortwahl. erfuhr ich von einem freundlichen Mädel und später auf der Straße auch, dass für ein Schild noch kein Geld übrig war.


Begeistert schoss ich einige (leider verwackelte) Fotos, die ich hier präsentieren wollte, als ich etwas unfreundlich – nun, ja – angefahren wurde: "Keine Fotos!" Zum Glück schluckte ich meinen Unmut hinunter, ging auf die verärgerte Dame zu und stellte mich vor. "Sie schreiben tolle Bücher", lobte sie. Zwanzig Minuten später wusste ich eine Menge über die Freude und das Leid einer Büchernärrin mit einem kleinen, großen Laden, denn solange plauderten Nicoletta Miller und ich.


Ich erfuhr, dass das wortwahl-Team aus einem befreundeten Kollektiv 12 fester Mitarbeiter bestünde – Kunstwissenschaftlern, Germanisten, Theaterwissenschaftlern, Schauspielern und Ethnologen – die alle verrückt nach Büchern seien und das Angebot aus ihren persönlichen Favoriten zusammenstelle. Dass jedes der Bilder-, Kinder- und Jugendbücher sorgfältig ausgewählt und auch gelesen sei. Dabei unterstützten 20 Lesekinder das Team. Dass das vielfältige Angebot weithin bekannt sei, so dass sich die Stammkundschaft nicht nur aus Münchnern sondern auch aus dem Ausland zusammensetze.
Doch warum durfte ich nicht fotografieren? Genau darum. Denn all die Mühe und Energie, die das humanistische Team in die Auswahl stecke, würde nicht nur von den Kunden geliebt, sondern auch – auweia! – von der Konkurrenz gestohlen.
Wie bitte? Ziehen denn die kleinen Buchhandlungen nicht alle an einem Strang?
Scheinbar nicht. Denn immer wieder würden die Mitarbeiter Menschen erwischen, die mit Videokameras und Handys im Ärmel durch den Laden streifen und filmen. Nicoletta Miller erhielte öfter Anrufe befreundeter Verlage darüber, dass eine ganz ähnliche Bestellung der und der Buchhandlung eingegangen sei.
"Können Sie sich vorstellen, wie sich das anfühlt? Wir haben mit viel Herzblut unsere Favoriten zusammengestellt und dann kommt die Konkurrenz, macht ein paar schnelle Fotos und hat einige Zeit später das gleiche Angebot."
Als Autorin finde ich es natürlich sehr erstrebenswert, wenn Menschen mit Geschmack und Liebe ein Angebot für möglichst viele bestimmen, aber dieses Procedere finde ich ganz schlimm.


Genauso respektlos sei ein bestimmtes Verhalten von einigen Kunden. Die kämen und erfreuten sich an der Einzigartigkeit und der fundierten Beratung der Buchhandlung, um dann später zuhause die Bücher beim Onlineanbieter zu bestellen. Weil "sie keine Lust haben, die Bücher nach hause zu tragen". Solchen gedankenlosen Menschen begegne das wortwahl-Team auch an anderer Stelle. Für das große Münchner Kulturfest Tollwood, – das sich aus ganzheitlichen und bewussten Aspekten bildet und in diesem Jahr beispielsweise unter dem Motto "Artgerecht" stattfindet, – erstellt es ein ganz besonderes Buchprogramm. Und auch dort würde fleißig notiert und fotografiert statt gekauft werden. "Solche Leute stehen auch am Amnesty-Stand, reden über Menschenrechte und tragen eine Lidltüte in der Hand. Wenn man sie dann darauf anspricht, wissen sie gar nicht, was man meint."
Ich kann mir sehr genau vorstellen, wie schmerzhaft diese Ignoranz sein muss. Der Frust und die Enttäuschung darüber dürfen jedoch nicht gewinnen. Mit Aufklärung kann man Augen und Herzen öffnen. Danken wir denen, die den Mut dabei nicht verlieren. Zum Beispiel dem wortwahl–Team um Nicoletta Miller.

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