Zum Atelierbesuch bei Rufus Meyer musste ich nicht einmal die Wohnung verlassen. Sein Atelier ist ein alter Lufthansa-Saftschupsen-Wagen, ein hoch aufgetürmter Stapel mit allerlei Leinwänden, Rahmen, Büchern, Zeitschriften und so weiter, der hin und wieder mit Getöse umkippt, einige Pinselgläser und die Hälfte unseres (ehemaligen) Esstischs im Wohnzimmer.
Herr Meyer ist der geliebte Mann.
Schon als kleiner Rufus begann Herr Meyer mit der Kunst, in dem er die Bilder, die seine Mutter zeichnete, abmalte. Die war begeistert darüber, was ihr 4-jähriger Steppke da fabrizierte und gab ihm Zeichenunterricht. Desgleichen tat später eine alte Nachbarin, Künstlerin und Nachmittagsbetreuung nach der Schule. So präpariert hätte einer späteren künstlerischen Karriere nichts im Wege gestanden, doch ein Leben als Künstler war nicht Herrn Meyers Wunsch. Stattdessen nutzte er Stifte und Farben, um hin und wieder der Welt zu entfliehen und sich vom Alltag eines jungen Menschen abzulenken, der sich irgendwie durchschlug und Geld verdienen musste.
Doch blieben seine kleinen Kritzeleien und aufwendig gepunkteten Gemälde nicht unbemerkt. Freunde und Freunde von Freunden baten um die Gestaltung artgerechter 1980er Jahre Jeans- und Lederjacken, um Tattoo-Vorlagen oder Wandgemälde. Aus Freundschaft oder im Tausch mit anderen Gütern schwang Herr Meyer Stift und Pinsel. Einmal malte er gegen Bezahlung sogar die Götter an die Wände eines griechischen Restaurants.
Dann fand er die Kampfkunst, oder umgekehrt, sein Fokus verlagerte sich vollends und die Farben und Stifte wanderten in die staubige Hobbyecke. Zwar gelang es dem einen oder anderen hin und wieder, Herrn Meyer einige Illustrationen für Marketing- oder Kampfkunstbücher oder ein nettes Bild für das Wohnzimmer abzuluchsen, aber das schwere Training bis zum 3. Dan und die Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen im Hapkido stand im Vordergrund.
Welch ein Glück, dass Herr Meyer, inspiriert durch das Zusammenleben mit einer sehr interessanten und schwer kreativen Frau (;-)), sein Flugzeug-Schränkchen in unser Wohnzimmer rollte und seit etwa 2 Jahren Blatt um Blatt, Leinwand um Leinwand und Skizzenbuch um Skizzenbuch mit seinen wundersamen Figuren füllt.
Heute zuckt es ihm ständig in den Fingern und er hinterlässt, egal wo er war, stets eine kleine Spur von Kritzeleien. Flüchtige Gedanken, ein Bild oder eine Szenerie halten sich dann in seinem Kopf fest und wollen aufs Papier gebannt werden. Eine erste Vision gibt es ad hock, doch der Rest entsteht im Prozess. Mit schwungvollen Linien und fließenden Formen bedeckt Herr Meyer dann den Untergrund. Kein Stoppen, kein Zagen, wie losgelöst - die schwarze, (gern) dünne (0,1 mm) Mine wandert immer weiter und hinterlässt seltsame Wesen, die wiederum aus Hunderten seltsamer Wesen bestehen. Manchmal werden diese dann mit Copic- oder Lackstiften oder mit Acrylfarben koloriert.
"Meine Figuren sind so vielschichtig wie das Leben und erzählen eben davon", sagt Herr Meyer.
Manchmal muss man ihm die Blätter entreißen, weil sie doch eigentlich schon fertig wären, der schwarze Stift aber nicht anhält.
"Wahrscheinlich ist das perfekte Bild für mich einfach eine schwarze Seite. Über und über bekritzelt und übermalt bis kein Papier mehr vorguckt, so, wie es eben ist im Leben."
Die Wesen Herrn Meyers sind nicht süß, niedlich oder schön. Sie gucken böse, machen Schlimmes und grinsen fies. Sie haben seltsame Auswüchse und oft etwas irgendwie Ekliges.
"Ich mag das Glatte, Nette, Schöngeredete nicht. Ich möchte eine andere Seite der Realität zeigen. Jedes Ding, jeder Mensch, jede Figur hat eine andere Seite."
Doch Herr Meyer ist sehr emphatisch und auch ein guter Mensch. Darum lässt er den Betrachter nicht im Ekel oder im Horror zurück. Nein, es gibt immer etwas Versöhnliches, in jedem seiner Bilder. Und so kann man das Schaudern weg lachen oder beschmunzeln.
Herr Meyer wird am Eintagsladen 4 teilnehmen. (Ich glaube, das tut er hauptsächlich deswegen, um die wunderbare Frau an seiner Seite zu unterstützen.) Doch hinter einem Marktstand zu stehen und seine Kunst wie Gemüse anzubieten, davor gruselt es ihm und dafür ist er eigentlich auch zu stolz. "Absurd und respektlos finde ich die Leute, die mit mir über den Preis meiner Kunst handeln wollen. In jedem Bild steckt mein Herzblut und ein Teil von mir. Es fällt mir schwer, die Werke wegzugeben. Da gibt es für mich nichts zu feilschen. Entweder jemand mag meine Bilder oder eben nicht." (Das sagt er sehr fest, mit so einem bestimmten Blick, denn Herr Meyer ist mit der Preispolitik, die ich meinen Dingen "antue", oft nicht einverstanden.)
Weitere Ateliergeschichten findest Du hier.
Eine wunderbar künstlerischer Gespann seid Ihr!
AntwortenLöschenDie Zeichnungen von Herrn Meyer mag ich sehr gerne, sie verführen in eine andere Welt. Das ist für mich Kunst.Lg, Éva
Wow. Die Geduld und Hingabe, die hinter jedem einzelnen dieser Bilder stehen. Großartig.
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