Dienstag, 22. März 2016

Die Mutter-Kolumne – Kinder brauchen ihre eigene Kinderkultur ... ähm, wirklich?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich?


Man kennt das: Ständig werden allerlei kulturelle Veranstaltungen in den Kalender eingetragen: Konzerte, Theater, Lesungen, Ausstellungen – jedoch nicht als romantische Dates, sondern als unterhaltende aber vor allem geistfördernde Kulturevents für die Kleinen. Kinderkonzert mit Ralf und seiner Gitarre, das Lilliput-Theater spielt "Wir tanzen auf dem Tisch", Bilderbuchkino mit Frau Ulla aus der Stadtbücherei, Mitmachkunst aus Pappenheim. Zu diesen Terminen geht man en famille auch hin, jedenfalls eher als zu zweit zu Glasperlenspiel in die Centralstation, obwohl man sich das fest vorgenommen hatte. Denn Kinder brauchen diese ihre eigene auf sie zugeschnittene Kultur. Zudem ist das Zeitfenster sehr gering, es bleiben acht kurze Jahre und die müssen genutzt werden. Oder? 

„Das ist langweilig“, raunte mein Söhnchen damals, als wir auf Sitzkissen kauernd einem Barden lauschten, der seine Textchen mit gezupften Gitarrenakkorden begleitete. 
Spätestens als er uns bat mitzusingen, verschwanden wir klammheimlich. Beinahe klammheimlich, denn ich stolperte über eines der Sitzkissen und unterbrach so ungestüm den lauschigen Moment.
„Das beste war, als Mama hingeflogen ist“, erzählte der Spross von jenem Konzert. 
Das kann nicht in der Absicht des Musikers gelegen haben.

Einmal begleitete uns mein Vater auf ein Kinderkonzert. Er hing neben mir auf dem Stuhl, die Augen halb geschlossen. Dann kam das erste Mitmachlied. Die beiden langhaarigen Eltern vor uns sprangen wie von der Tarantel gestochen auf und fuchtelten begeistert nach Anleitung mit den Armen, gingen in die Knie und hüpften hoch. Von dem Moment an machte uns das Ganze Spaß. 
Meinen Kindern leider nicht, die saßen vorne und starrten verwundert auf die kreischende und fuchtelnde Musikantentruppe.

Wir besuchten auch Kindertheateraufführungen. Solange meine Kinder dachten, auf der Bühne stünden tatsächlich Ernie und Bert, die für sie sangen, war alles wunderbar. Doch mit vier Jahren erkannten sie die Wahrheit.
„Da sind Erwachsene drunter, die spielen nur“, stellte das Töchterchen fest. „Denken die, ich bin doof und merke das nicht?“
Während die begleitenden Eltern Spaß zu haben schienen, gähnten die Kleinen und mein Sohn flüsterte, so dass es auch alle anderen gut hören konnten: „Die Frau in dem hässlichen Kostüm hat eine komische Stimme.“

Zur selben Zeit tobten meine Sprösschen kopf- und rumpfschüttelnd zu meinen alten Nirvana-Platten durch die Bude, sangen Bowies Major Tom mit, verharrten regungslos und mit vor Faszination geöffnetem Schnütchen vor Impro-Thetargruppen in der Innenstadt und besprachen wochenlang die Installationen von Edward Kienholz, die sie in der Kunsthalle gesehen hatten.
„Kultur für Kinder wird eben von Erwachsenen gemacht, die sich vorstellen, was Kindern gefällt“, sagte ich zu meinem Vater. „So gefällt sie letztendlich den Eltern, wie damals beim Konzert dem Paar vor uns.“ 
Er grinste. „Mit denen hatte ich mich noch unterhalten. Sie waren gar kein Paar und hatten auch keine Kinder. Das waren Sozialpädagogen.“
In dem Moment kam mein Töchterchen um die Ecke, schrappte auf ihrer Luftgitarre und grölte: „Here we are now, entertain us!“
Mein Vater schaute mich sehr nachdenklich an. Allen kann man es eben nie recht machen. Doch auch das ist ja ein Aspekt von Kunst und Kultur.

1 Kommentar:

  1. Sehr gelacht, kommt mir bekannt vor. Kinder machen meist das am liebsten, was die Eltern mögen. Ich mag Kinder verderben mit Rockmusik und seltsamer Kunst!

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