Mittwoch, 21. Mai 2014

Vom wahren Glück – Frau Herdens Liste



Alle wollen glücklich sein. Ich auch. Aber weiß ich eigentlich, was Glück für mich ganz persönlich wäre? Ich höre immer wieder, dass man Ziele und Wünsche genau definieren soll, sie aufschreiben und visualiseren muss, damit sie überhaupt wahr werden können. Beim großen Glück bin ich seltsamerweise etwas lax.

Es passieren Momente, da kribbelt es in meinen Füßen und ich denke: „Hopsala, bin ich aber gerade verdammt glücklich!“ Spüren! Drin schwelgen! Festhalten! Na, und dann klingelt das Telefon oder mir fällt irgendwas runter, meistens etwas mit was drin, und das muss ich dann erst mal schnell aufwischen und so beim Wischen auf dem Boden knieend fällt mir direkt ein, dass ich ja noch dieses oder jenes machen muss.

Also, was und wie genau meine ich das, wenn ich denke, ich wäre so gerne glücklich? Welche Augenblicke sind das, in denen ich mich wirklich, wirklich glücklich fühlen würde? Erinnere ich noch das Gefühl schon gelebter Glücksmomente? Ich bin 43 Jahre alt. Es hat einige gegeben. Und ich meine nicht die kleinen, die hoffentlich alltäglichen, wie bunte Käfer beobachten oder in einen Schokotrüffel ohne Alkohol zu beißen, sondern die ganz ganz großen. Als das Glück allumfassend war. Einfach so. Ohne dass man zu jemandem Ja sagte oder ein Kind ins Leben presste. Hatte ich alles. Je zwei Mal. Da erwartet jeder, dass das nun das ganz große Glück sein muss. Man selbst natürlich auch. Die Ehen scheiterten, die Kinder sind mir unendliche Freud und manchmal auch Leid. Aber bald werden sie in ihr Leben hin- und von mir fortgehen. Und noch immer träume ich vom großen Glück. Von diesen Momenten, die einen ohne Maßen pathetisch und euphorisch sein lassen, in denen man die ganze Welt umarmen möchte, glaubt, alles, alles sei gut und diese irre Gewissheit hat, irgendwie kapiert worden oder womöglich angekommen zu sein.

Da gab es so einen Augenblick an einem sonnigen Tag vor 17 Jahren, den ich so genau erinnere, als wäre er gestern gewesen. Wir lagen draußen im Line up neben dem Pier in Ocean Beach, San Diego, auf unseren Surfbrettern. Die Sonne glitzerte wie verrückt im Wasser, weil es später Nachmittag war. Und dann kam die perfekte Welle, auf der quasi mein Name geschrieben stand. Ich wendete mein Board, padelte, spürte wie mein Brett hinten angehoben wurde und sprang auf die Füße. In dem Moment rief ein Freund: „Yes!!! Misses Olsen!!! Go for it!!!“. Und ich ritt vor Freude kreischend die Welle hinunter. Zwei Tage zuvor hatte ich einen Mister Olsen in Las Vegas geehelicht. Das Ganze hielt nicht lange. Aber diesen Moment (ohne ihn) werde ich nie niemals vergessen.

Ohne lange zu fackeln, habe ich mir mal 10 solcher besonderen Momente überlegt, die ich gerne erleben möchte. Klar, schon im Augenblick da ich sie aufschreibe, fühle ich mich von Glückserweiterungen und -ergänzungen überrollt. Es gäbe so viele mehr. Trotzdem hier mal zehn spontane, ganz persönliche und wahrhaftige Glückssituationen, mit denen von mir aus gleich losgelegt werden könnte. Nun, Punkt 10 kann ruhig noch eine Weile warten und Gesundheit, Friede, Freude und Eierkuchen für alle und das alltägliche Kleine seien mal vorausgesetzt.

* einfach losfahren, immer nach Westen und dann über die Wasser und wieder nach Westen und wir wüssten, es wird sehr lange dauern, bis wir wieder zurück kommen, wenn überhaupt

* das „wir“ im vorherigen Glücksmoment

* morgens in ein Betttuch gewickelt und mit einer Tasse Kaffee mit Haselnusssirup in der Hand barfuß auf die schon sonnenwarmen Holzdielen treten, die in den Garten hinausführen und nach den Blüten schauen, die sich neu geöffnet haben (ach, ja: und hinter dem Garten rauscht die Brandung und dann steht da noch der Frühstückstisch mit Avocado, Senfsoße, pochiertem Ei und knusprig geröstetem Weißbrot)

* die perfekte Welle noch einmal, es darf dann auch Frau Herden heißen und es muss keine Hochzeit vorangegangen sein

* wenn auf die Frage eines Jungen nach einer Lesung, wie viele Bücher ich schon veröffentlicht hätte, ein anderer „Na, 20!“ riefe

* wenn mich die Journalistin fragen würde, ob ich mir meinen Kurt genauso vorgestellt habe, wie er nun auf der Leinwand zu sehen sei, und ich sagte: „Ja.“

* diese Sekunde, wenn sich einem einer entgegenbeugt, mit weichen Lippen und man weiß, er wird mich gleich das erste Mal küssen

* na gut: hemmungsloses Knutschen mit einem, der gut riecht und andeutete, dass er einen wirklich kennenlernen möchte

* das Gefühl, irgendeine echte körperliche Herausforderung gemeistert zu haben, sich vielleicht durch den Dschungel von Belize kämpfte, auf einer einsamen Insel klarkam, einen Triathlon schaffte oder doch noch Skateboard fahren lernte

* und auch: wenn mich eines Tages zwei oder gern auch mehrere kleine Menschlein, die nach Keksen duften, aus den Augen meiner Kinder anschauten

(Okay: Und wenn mir diese eine tolle Hose wieder passen würde, in der ich immer dachte, alles ist gut. Falls aber all die vorangegangenen Punkte sich auch erfüllen, ohne dass mir diese Hose wieder passen würde, dann entfällt dieser letzte, dieser elfte und überhaupt nicht gefragte Punkt als völlig irrelevant.)

3 Kommentare:

  1. Ach was soll ich schreiben ... es war mir eine große Freude, diesen Beitrag zu lesen! Ich werde mir mal Gedanken zu meinem ganz eigenen Glück machen. Danke Antje :-)

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  2. Ja, richtige Glücksmomente sind selten. Einer erinnert mich aber immer noch: Vor ca. 20 Jahren war ich mit einer Gruppe Freunden segeln im Mittelmeer. Ich lag an Bord der Yacht und schaute in den Himmel. Weisse Yacht, blauer Himmel, glitzerndes Meer - und wir hörten ganz laut Nessun Dorma. Ein wunderwunderschöner Moment. Seufz :)

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  3. schön...belebend, deinen glückswünschen nachzuhängen,liebe antje. heute kam dein buch an - auch ein glücklicher moment beim nach hause kommen für mich:) wenn ich nachdenke, dann fällts mir schwer, mir was bestimmtes zu wünschen - eher verdamme ich, was ich nicht (mehr) erleben möchte...
    sei herzlichst gegrüßt von birgit

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