Montag, 26. Mai 2014

Meine Antwort auf Kai Lüftners, Kreativitäter und Kinderbuchautor, offenen und sehr sehr wütenden Brief

Foto: Michael Rahn

Kai Lüftner, mein wunderbarer Kollege und Geschichten vom Bürgersteig-Teammitglied, hat gestern einen offenen und sehr sehr wütenden Brief auf Facebook veröffentlicht, der mich beinahe auf die Matte legte. Er endete mit den Worten:
"Mann ey, lasst mal was machen! Wenigstens mit der Faust auf den Tisch hauen und kund tun, dass wir das mitbekommen, was hier mit uns abgezogen wird. Wir müssen echt aufhören uns so klein zu machen, sonst sind wir so klein wie sie uns gerne hätten. Die Verlage brauchen uns mehr, als wir die Verlage."

Den ganzen Brief findet Ihr auf Kais Autorenseite oder auch in Stefanie Leos Blog.
Heute habe ich darauf geantwortet.

Lieber Kai,
nicht nur weil wir Kollegen sind, nicht nur, weil wir uns nahe stehen, nicht nur, weil Du mich in Deinem Wutwort namentlich erwähnst, sondern weil es mich gestern Nacht unerwartet aus dem Hinterhalt traf und nahezu in die Knie zwang, möchte ich darauf antworten.

Mein Name ist Antje und ich schreibe seit vier Jahren Kinderbücher.

Ich gebe mir verdammt viel Mühe damit: recherchiere genau, konzipiere zwar akribisch aber aus tiefstem Herzen und formuliere möglichst intelligent und komisch. Ich bin stolz auf meine Arbeit und ich liebe meine Bücher. Ich weiß, wenn mehr Kinder Zugang dazu hätten, würden meine Geschichten viele glücklich machen.

Leider haben das aber nur wenige. Meine Bücher werden in der Branche zwar hochgelobt, aber von der äußeren Welt, den Lesern, Buchkäufern und –schenkern, wenig wahrgenommen. Woran das liegt, hat viele Ursachen: Kleinverlag und Unvermögen einzelner sicher auch, aber hauptsächlich: Unwichtigkeit im großen geldregierten Ganzen und damit keine lohnende Investition.

Warum das so ist? Wenn ich diese Frage beantworten oder gar lösen könnte, dürftet Ihr alle in meinem Geldbunker schwimmen wie Dagobert Duck.

Ein Versuch:

Wenn mich ein Veranstalter den Kids vorstellt, ist das erste und auch das am meisten beachtetste zu meiner Person: Sie arbeitete viele Jahre als Fotomodell.
“Geil”, höre ich dann. “Aber Lesen finde ich eigentlich nicht so toll.” Danke dafür.

Wir leben in der Blase eines überschaubaren Kreises. Kollegen in ähnlichen Situationen, Buchhändlerinnen, einige Bibliothekare, Blogger, Kinderbuchfans und ein paar Engagierte. Doch was bedeutet das? Letztendlich nicht viel.

Obwohl Deine Bücher einfach wunderbar sind, obwohl Du ein supersympathischer Typ bist, der zudem noch auf spezielle Art und Weise fantastisch aussieht, obwohl Du den großen Bang-Auftritt im Fernseher hattest, haben (im Moment) 1075 Menschen den Gefällt-mir Knopf Deiner Autorenseite gedrückt. Stefanie, die in der Sendung neben Dir saß und Topmodel ist, hat 580486 Fans auf ihrer Seite. Warum ich das schreibe? Weil es meiner Meinung nach genau darum geht.

Die Menschen bekommen letztendlich, was sie verdienen, wonach sie fragen. Während der Trend zum Zweitbuch im Kinderzimmer rückläufig ist, haben alle irgendein Smartphone. Dass es immer wieder heißt, Kinderbücher seien zu teuer, ist ein Witz. Wenn man die jährlichen Kosten der Unterhaltungselektronik in Kinderhänden einmal in Kinderbücher umrechnete, dann hätte selbst ein Mensch mit fotografischem Gedächtnis Probleme, diese alle zu lesen. Dass es eine Handvoll Menschen gibt, die mahnen, die auf geistige, soziale und emmotionale Verarmung hinweisen, wirkt da wie ein Pups im Sturm.

Lesen gilt zwar in einigen Kreisen als erstrebenswert, aber es ist unglamourös, unsexy und viel zu leise, um die Massen zu erreichen.

Meiner Meinung nach, erheben Verlage keinen Weltverbesserer-Anspruch. Die haben vielleicht einmal mit einer Mission oder einem Interesse am Kind und der Literatur begonnen, aber in einem kapitalistischen System handeln sie letztendlich kapitalistisch. Am Ende geht es nicht mehr um Werte, sondern um den schnöden Mammon. Ich weiß nicht, ob Schimpfen auf und über Verlage etwas ändern würde. Wenn man mit guten Kinderbüchern Geld verdienen könnte, würden sie uns hofieren. Das mag elend und klein erscheinen, aber ich befürchte, so sieht es aus.

Ich habe mir Gedanken gemacht, was nun mit Dir, der Du gebrüllt hast, passieren könnte, wenn das System tatsächlich so furchtbar ist, wie ich es vermute. Wahrscheinlich laufen heute einige Telefonstrippen heiß. Was machen wir mit diesem Aufrührer, diesem Wütenden, diesem unangepassten Autoren? Können wir damit irgendwie Geld machen? Ist das womöglich eine Supersache, die wir monitär ausnutzen könnten? Oder ist der Typ einfach schwierig, macht Ärger und Stunk und wir lassen den mal lieber in der Senke verschwinden und seine Hörbücher udn Sketche für andere schreiben?

Das wäre fatal, denn dann müssten unzählige Kids auf Deine klugen, berührenden und lustigen Geschichten, auf Deinen Humor und Deinen Spaß am Fabulieren verzichten. Denn die würden es eventuell gar nicht mitkriegen. Die Läden sind doch voll mit unzähligen anderen Büchern.
Eine echte Lösung habe ich nicht. Nach einer Lösung hat mich auch die Redakteurin Natascha Geier im Interview mit dem NDR gefragt. Über eine Lösung haben Antje Ehmann, Jurymitglied des Deutschen Kinder- und Jugenbuchpreises, und ich gerätselt. Theoretisch gibt es eine, klar. Leseförderung. Den Spaß am Buch und am Lesen vermitteln.

Wir alle wissen, dass die meisten Eltern damit überfordert sind. Sie greifen zu Altbewährtem, das sie aus Kindertagen kennen, und meistens noch irgendwo auf dem Dachboden herumstehen haben. Die Großeltern sowieso. Wir Autoren wissen alle: Nachmittagslesungen oder Wochenendlesungen sind “voll”, wenn da 20 Leute sitzen, also etwa 10 Kinder und ihre Begleitperson, gerne mit Baby. Die einzige Ausnahme, die ich dazu bisher erleben durfte, war eine Lesung mit Andreas Steinhöfel.

Leseförderung sollte schon im Kindergarten beginnen. Auch klar. Aber geht doch mal in die Kindergärten und Grundschulen. Nicht in die mit prämierten Vorzeigemodellen oder einem potenten Förderverein, sondern in die echten, in die, von denen es die meisten gibt. Schaut Euch dort die zerfledderten ewig alten Bücher an. Fragt die Kindergärtnerin, welche Neuerscheinungen sie mag. Ich verspreche Euch, die meisten kennen nicht eine einzige der letzten Jahre. (Ich weiß, es gibt Ausnahmen, aber die Ausnahmen ändern eben nicht viel.)

Als meine ersten Bücher erschienen waren, habe ich mehrfach in der Grundschule, im Hort und in der weiterführenden Schule meiner beiden Kinder angeboten, kostenlos zu lesen. Es gab kein Interesse! Nur die wunderbare ehemalige Lehrerin meines Sohnes, Frau Wolfert, veranstalte eine Lesung mit mir in ihrer Klasse.

Sollen wir Autoren nun laut brüllen und tanzen? Uns zum Hempel machen? Damit uns jeman dsieht, hört und liest? Oder resigniert leise seufzen und Margarine statt Butter kaufen, aber weiter das schreiben, an was wir glauben? Und falls es dann doch endlich läuft, das lieber niemandem erzählen, um keinen Kollegen neidisch oder traurig zu machen?

Ja, auch ich poste Amazonrezensionen meiner Bücher in Ermangelung von professionellen Besprechungen. Ich freue mich, wenn jemand meine Bücher mag und sich die Zeit nimmt, einige Worte dazu zu schreiben. Aber ich teile das mit zusammengebissenen Zähnen und Tränen in den Augen. Genauso, wie ich jeden Tag etwa eine Stunde Zeit investriere, einen oder zwei Facebookposts zu entwickeln, die ich auf meine Autorenseite stelle, um mich dann bei meinen 499 Fans dafür zu bedanken, dass etwa 300 von ihnen den Post sahen, 15 darauf positiv regierten und mich nur einer alle zwei Tage entfreundet, weil er sich zugespamt fühlt.

Das tut weh! Denn ich glaube wirklich, dass ich den Leuten mit meinen Posts und vor allem mit meinen Büchern etwas schenken kann, was sie ein wenig glücklicher, nachdenklicher, neugieriger sein lässt. Und ja, es würde mich sehr froh in mein Margarinebrot beißen lassen, wenn sich dafür einer bei mir bedanken würde und nicht umgekehrt.

Laut genug mit der Faust auf den Tisch gehauen, Herr Lüftner? Leider laufen mir zeitgleich die Tränen über die Wangen. Aber ich darf das ja, so als Frau und Kinderbuchautorin.

Ich hab Dich lieb! Und mich erst recht!

Antje

6 Kommentare:

  1. Wahre Worte. Ein Lösungsschritt wäre eine stärkere Vernetzung und Kooperation aller Beteiligten für eine breite Leseförderung. Ein paar Gedanken dazu habe ich mal in meinem Blog geschrieben: http://kinderbibliothek.blogspot.de/2014/05/hilfe-wie-losen-wir-das.html

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    1. Ganz lieben Dank für den Kommentar und den eigenen Blogeintrag zum Thema. Das ist ja letztendlich der Sinn: Dass man die Dinge zum Gespräch macht. Damit alle Kinder irgendwann wissen, was es für tolle Bücher gibt und dass sich lesen mehr als lohnt.
      Lieber Gruß, Antje

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  2. Hallo Antje!
    Auch ich hab jetzt Tränen in den Augen, weil ich es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten hätte, was Du / Ihr da so aushalten müßt.
    Es macht mich sehr betroffen, weil ich noch zu der lesenden Fraktion gehöre, die gerne Bücher abseits des Mainstreams kauft - vor allem auch Kinderbücher. Aber das ist auch nur der Tropfen auf den heißen Stein, gell?
    Eine Lösung? Hmmm, keine Ahnung, ich weiß ja selber wie schwer es ist, die eigenen Kids zum Lesen zu bewegen, freiwillig meine ich. Wenn ich vorlese sind sie sofort dabei, aber sich mal selbst hinsetzen und lesen?????? Hat Seltenheitswert!
    Ich wünsche Euch viel Mut und Kraft für Eure Projekte und laßt Euch bitte bitte nicht unterkriegen!!
    Lieben Gruß Kerstin

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  3. Hallo!
    Als lesebegeisterte Frau und Mutter von drei Kindern (3,5,8), die auf deren Wunsch nahezu jede Woche in die Bücherei geht, ein kleiner Kommentar:
    Meine Kinder lieben Bücher. Ich habe ihnen bereits als Kleinstkinder vorgelesen und gemeinsam Bücher angeguckt. Ich fänd es herrlich, wenn sie sich für die "Klassiker" wie Die kleine Hexe, Räuber Hotzenplotz und die Astrid Lindgren Bücher begeistern könnten (da könnten wir dann drüber reden und ich könnte ihnen erzählen, wie toll ich diese oder jene Stelle fand....). Und merke: Nö, ist so gar nicht ihre Welt. Die finden anderes besser (was ich aber manchmal nicht besser finde, aber gut...). Und trotzdem: Bekommen meine Kinder Bücher geschenkt, sind es eben solche Klassiker, es sei denn ich habe genaue "Instruktionen" erteilt.

    Ich glaube, gerade die Großeltern machen sich da auch keine Mühe. Die greifen zu den Titeln, die irgendwie schon immer "gingen". Dass Kinder aber mit Schulgeschichten vom Franz oder den Bilderbüchern von Eric Carle gar nicht so viel anfangen können (nur weil sie vor Jahrzehnten mal den Kinder- und Jugendbuchpreis bekommen haben und man sich erinnert, dass die Nöstlinger doch so nett schreibt...).
    Auch in der Grundschule wird als Leseprojekt Pippi Langstrumpf gewählt. Da gibt es wahrscheinlich genug Lehrmaterial frei im Netz zu (sag ich jetzt mal etwas bösartig). Kinder haben also wenig Möglichkeiten, eure oder generell neue Bücher kennenzulernen.
    Ich selbst finde es auch schwierig, mich in der Fülle der Kinderbücher zurechtzufinden und das richtige Buch auszuwählen.

    In den großen Buchhandlungen (bei uns konnten sich eigentlich nur noch die großen halten, die kleinen sind ausgestorben...) findet man allerdings kaum jemanden, der sich mit Kinderbüchern auskennt. Da greift man im Zweifel eben doch nach dem Bewährten. Mit Kokosnuss oder dem magischen Baumhaus kann man nicht viel falsch machen...
    Ich glaub, Eltern sind eben auch nur Menschen. Und wer, wenn nicht die (Groß-)Eltern, sind denn die Käufer von Kinderliteratur? Und ja, doch, ich finde Kinderbücher teuer. Bücher allgemein. Ich kaufe deshalb viele Bücher auf dem Flohmarkt.

    Dass Schulen, Kindergärten und Buchhandlungen kein Interesse an Lesungen haben, finde ich erstaunlich und erschreckend. (Bei uns in der Schule ist das zum Glück anders, da sind ab und zu Autoren zu Gast). Aber in Kindergärten findet man in der Tat nur die gleichen abgenudelten Titel. Mit etwas Glück ist noch der Grüffelo dabei.

    Ja, wahrscheinlich kann man den Verlagen einen Vorwurf machen, dass sie sich da nicht genug engagieren. Dass es keine Mailings an Schulbibliotheken gibt oder eben an Kitas. Oder oder...Die hoffen wahrscheinlich, dass sich die Sachen "einfach so" verkaufen und zufällig Kassenschlager werden, so wie Harry Potter. Da hat man als Autor/in vermutlich auch nicht viel Mitspracherecht.Oder nimmt es nicht in Anspruch. Aber ich glaub, es ist nicht so krass wie Kai Lüfftner es behauptet: Ich glaube, nur die "Großen" der Branche verdienen wirklich viel und werden von den Verlagen hofiert. Die vielen Belletristik- und Romanautorinnen und -autoren können wie ihr noch immer im Jogger Brötchenholen. Die kennt auch kaum jemand, die können auch nicht vom Schreiben leben. Es sei denn, zufällig liest ein FAZ-Redakteur das Buch und überschlägt sich in seiner Rezension vor Begeisterung. Oder das Buch wird von Frau Westermann besprochen.

    Naja. Was ich sagen wollte: Es ist nicht so einfach neue Bücher zu identifizieren und noch schwieriger GUTE neue Bücher zu identifizieren. Und dass man als Autor vom Schreiben leben kann und vom Fleck weg eine vierstellige Auflage verkauft bekommt (es sei denn man ist ein "Promi"), war schon immer eine Utopie.
    Gerade deshalb: Meine Hochachtung! Ich weiß eure Liebe und euren Einsatz zu schätzen. Am Donnerstag mache ich unserer Bibliothekarin den Vorschlag, Antje Herden-Bücher zu kaufen.

    LG SteffiFee

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    1. Liebe Steffi,
      herzlichen Dank für diesen langen Kommentar. Darüber freue ich mich sehr. Antje

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