„Man muss teilen, Jonas“, trompetete sie zufrieden über den ganzen Spielplatz.
„Auweia, jetzt heult der“, sagte mein Kind. „Das war supergemein.“
„Sie möchte ihrem Kind beibringen, wie man teilt“, verteidigte ich die Frau, obwohl ich sie unmöglich fand.
„Sie hat ihren Keks auch alleine aufgegessen“, sagte mein Sohn.
„Aber Teilen ist wichtig“, erklärte ich.
„Man darf sein Kind aber nicht dazu zwingen“, sagte mein Kleiner.
Ich bezweifelte auch, dass aus dem kleinen Jonas ein großherziger Geber werden würde. Er wirkte traumatisiert.
„Ich teile immer gerne mit dir“, sagte das Söhnchen.
Ich starrte auf den nanometerkleinen Krümel in meiner Hand. Den hatte er eben von seiner Brezel gefriemelt und großspurig dort platziert, als ich um ein Stück für mich bat. In dem Moment kam eine Windböe und trug ihn davon.
„Geteilt hast du deine Brezel mit mir nicht gerade.“
„Ich habe nicht mehr übrig, weil ich sie doch selber essen will.“
„Teilen bedeutet nicht geben, wenn man etwas übrig hat, sondern wenn man es eigentlich selbst gut gebrauchen könnte. Teilen heißt, mit weniger zufrieden zu sein, damit andere auch etwas haben. Es macht glücklich, wenn es von Herzen kommt.“
Ich kam mir sehr weise vor. Das Söhnchen wackelte bedächtig mit dem Kopf. Dann ging es zum Sandkasten und drückte dem weinenden Jungen seinen Brezelrest in die Hand.
„Das war sehr lieb von dir“, sagte ich, als er wieder neben mir auf der Bank saß.
„Jetzt weint der andere Junge“, gab mein Sohn zu bedenken.
„Manchmal kann man es nicht allen recht machen“, versuchte ich eine Krux der Welt in einen Satz zu packen.
„Bekomme ich zur Belohnung ein Eis?“, fragte er verschmitzt.
Ich musste lachen. Das war eigentlich nicht Sinn der Belehrung gewesen, aber ich hatte zwei Euro in der Tasche und ebenfalls Lust auf ein Eis.
Auf dem Weg zur Eisdiele kamen wir an einem bettelnden Obdachlosen vorbei. Einige Meter hinter ihm, krähte mein geliebter Sohn: „Mama, du hast dem armen Mann nichts gegeben!“
„Genau, Mama. Weißt du nicht, dass Teilen glücklich macht?“, rief uns der Mann feixend hinterher.
„Das weiß meine Mama“, antwortete das Söhnchen und blieb stehen. „Gib ihm was.“
„Dann können wir aber kein Eis mehr essen“, sagte ich. „Ich habe nur zwei Euro.“
„Eine Kugel kostet einen Euro“, sagte mein Kind. „Nur einer von uns kriegt dann kein Eis. Bist du das oder bin das ich?“
„Wir könnten uns ja eine Kugel teilen“, schlug ich vor.
„Das wäre aber nicht gerecht“, sagte das Söhnchen. „Du hast eine viel größere Zunge.“
Ich musste lachen. „Und nun?“
Mein Sohn dachte nach. Der Obdachlose und ich warteten gespannt.
„Wir geben dem armen Mann einen Euro, dann bekomme ich eine Kugel Eis und du darfst mit deiner großen Zunge mal lecken.“
„Sie haben ein sehr kluges Kind“, sagte der Mann.
„Das mit dem Teilen ist nicht so einfach“, sagte mein Sohn vor der Eisdiele.
„Nein, das ist es nicht. Manche müssen sehr alt werden, um es zu lernen. Manche lernen es ihr ganzes Leben lang nicht“.
„Dabei macht es wirklich glücklich“, sagte der Kleine. „Einmal Vanille, bitte.“
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