„Surfen ist hier nicht erlaubt“,
erklärt mir der Junge in der orangenen DLRG-Uniform.
Warum das unfassbar absurd ist, bedarf
einer genaueren Ortsanalyse.
Da der Sommerurlaub näher rückt,
wollten wir die dafür benötigten Muskelpartien trainieren, und
hatten unsere Surfbretter an den Waldsee gekarrt. Die Idee war,
mehrmals quer über den See zu paddeln. Zweimal war mir das gelungen.
Nun steht also dieser Junge mit seiner zitternden Unterlippe und den
unsteten Augen vor mir. Ich beschließe, ihn trotzdem zu siezen.
„Surfen?“, frage ich verblüfft.
Er deutet auf mein Wellenreit-Brett.
„Ach, Sie meinen meine
Schwimmhilfe?“, frage ich leider nicht, weil mir so etwas immer
erst hinterher einfällt.
„Das da geht nicht“, sagt er.
„Sie haben aber schon gesehen, dass
es hier im Waldsee keine Welle gibt, die man surfen kann, und dass
das da ...“, ich deute ebenfalls auf mein Board, „... kein
Windsurfbrett ist, denn die haben ja Segel und sind auch viel
größer.“
„Es steht auf dem Schild. Das darf
man nicht“, wiederholt er.
Ich mag diesen See eigentlich nicht. Er
ist belagert von grölenden Jugendlichen und anderen Menschen, die
gerne laut sind und dabei auch nicht gut aussehen. Jeder mit eigener
plärrender Musik, überall rauchende Grills und kleine Feuerchen.
Auf dem Weg ins Wasser muss man achtgeben, nicht in zerbrochene
Bierflaschen oder Kronkorken zu treten. Über das Wasser jagen sie
sich mit riesigen Lufttieren und Matratzen. Schräg gegenüber sitzen
die Angler. Als ich ankam hatten sie gerade wieder einmal den großen,
uralten Karpfen an der vernarbten Unterlippe an Land gezerrt. Für
das hundertste Karpfen-Selfie. Armer Kerl. Doch was soll er tun? Er
ist eben ein Fisch und lernt nichts aus seinen Erfahrungen.
„Warum nicht?“, frage ich.
„Es steht auf dem Schild“, zittert
der Junge heraus.
Ich schaue ihn nur an. Er guckt beinahe
panisch überallhin, nur nicht zu mir.
„Vielleicht weil es gefährlich
ist?“, fragt er mich dann.
Wir blicken über den See. Am
schmutzigen Badestrand brüllen und tunken sie sich bis kurz vor
knapp. Auf unserer Paddelstrecke ganz am Rand ist keine
Menschenseele. Allerdings schaukelt dort eine einsame Ente.
„Mhm“, mache ich. „Für die
Ente?“, sage ich allerdings wieder nicht.
Irgendwie tut er mir leid. Noch kann
ich nicht glauben, dass das hier ernst sein soll. Schon immer sind
wir hier gepaddelt. Da war das Kerlchen noch nicht mal geboren.
„Ist das nicht ein öffentliches
Gewässer?“, frage ich. „Vielleicht gilt das nur für den
Badebereich?“ Das wäre kein Problem. Von dem sind wir sehr weit
entfernt.
„Es steht auf dem Schild.“
Ich habe Sorge, dass er gleich zu
weinen beginnt.
„Kann ich dieses Schild mal sehen?“
Wir laufen durch herumliegende
Flaschen, Dosen, Tüten , Feuerstelln und Lumpen zur Regeltafel. Dort
steht etwas von Freizeitgelände, Selbstverantwortlichkeit und
zeitweiliger Betreuung durch den DLRG.
„Da steht es“, sagt er und deutet
auf einen der Sätze.
„Feuermachen verboten“, lese ich
laut.
„Dann da“, flüstert er und zeigt
auf einen anderen Satz.
„Müll ist zu vermeiden“, lese ich
wieder laut. „Aber vielleicht meinen Sie diesen Satz hier“, helfe
ich ihm, „motorbetriebene Boote, Segeln und Surfen sind nicht
erlaubt.“
„Ja, genau“, atmet er erleichtert
auf.
„Sie wissen aber schon, dass die
Windsurfen meinen?“, frage ich ihn.
„Jedes Surfen“, beharrt er.
Inzwischen bin ich doch etwas
fassungslos, erkläre es ihm aber trotzdem. „Man könnte hier nur
Windsurfen. Zum Wellenreiten braucht man Wellen. Das hier ist ein
Waldsee.“
„Es steht auf dem Schild.“
Der Chef des Dreimann-DLRG-Teams
beobachtet uns grimmig. Er ist beinahe zahnlos, voller schlechter
Tätowierungen, Bierwampe. Ich bin mir etwas unsicher, ob in Seenot
geratene Nichtschwimmer hier tatsächlich gerettet werden würden.
Leider bin ich mir aber sehr sicher, dass er, hier quasi auf letzter
Station mit Macht in seinem Leben, auf keinen Fall vernünftigen
Argumenten lauschen würde. Vielleicht hat er auch selbst längst
begriffen, dass auf dem Schild nichts davon steht, dass wir uns
irgendwie verboten verhalten hatten. Aber das würde er niemals
zugeben. Er musste sein orangefarbenes Shirt, seine Ehre und
Männlichkeit verteidigen. Vielleicht auch ein bisschen den IQ seiner
Truppe. Obwohl ich bezweifle, dass er so weit dachte.
Ich wende mich trotzdem an den ihn,
trage vor, was Sache ist.
„Ist verboten“, knurrt er.
„Woher weiß man das?“, frage ich.
„Es steht nicht auf dem Schild.“
Er starrt einem Mädchen im Bikini
nach. Leckt sich über die Lippen. Mir wird ein bisschen schlecht.
„Feststoff“, kräht hinter mir der
dritte und wippt mit stolzgeschwellter Brust auf und ab. „Alles aus
Holz ist verboten.“
„Holz?“, entschlüpft es mir.
Ich hätte sehr gerne ein echtes, altes
Board aus hawaiianischen Holz, besitze aber eines aus Resin mit
Schaumstoffkern. Meine Tochter paddelte auf ihrer modernen
Epoxi-Planke. Beide Bretter hatte ich zuvor einen Kilometer durch den
Wald getragen. Eins rechts unterm Arm, eins links. Nur mal so, wegen
der Feststoffe.
Ich weiß längst, dass hier nichts
mehr hilft. Keine Nachhilfe in Lesen und in das Gelesene Verstehen.
Da stehen drei Männer, die stolz ihren Dienst tun. Fertig.
Ich drehe um. Schlängele mich zurück,
durch die Massen, die alle Regeln brechen, aber das auf eine sehr
verständliche Art und Weise. Ein Surfboard ist wohl einfach zu
obskur.
Hilfe, in was für einer Welt leben wir
eigentlich, denke ich und hüpfe auf einem Bein weiter, weil ich in
eine noch brennende Zigarette getreten war. Na, zum Glück ist die
nun aus. Waldbrandgefahr und so. Aber egal.
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