Mittwoch, 30. Oktober 2013

Länger als gedacht – Lesend unterwegs in Lüneburg

Ich hatte es ja nicht anders gewollt, denn als ich das Zugticket zurück ins Heimatstädtchen buchte, gab ich mir drei Stunden Zeit, nach den Lesungen meinen Leseort zu erkunden.


Dabei fing alles so nett an. Eine liebe Freundin auf der Durchreise erwartete mich in Lüneburg am Bahnhof. Wir verplauderten ein amüsantes Stündchen. Dann lies ich mich zum Hotel (Bremer Hof) fahren, das wirklich sehr nett war. In meinem Zimmer verbrachte ich einen geruhsamen Abend.


Am nächsten Tag las ich 3 x 3 sechsten Klassen aus dem "Letzten Donnerstag" vor. Dazu hatte mich das Literaturbüro eingeladen – etwas, das ich jedem Kollegen wünsche, denn die Betreuung war wunderbar in jeder Beziehung (Danke schön!) – und zwar ins schöne Heine Haus. Für mich, die ich in einer Stadt lebe, die 1944 in einer Brandnacht zu beinahe 99 Prozent zerstört wurde, sind geschichtsträchtige, gar mittelalterliche Häuser einfach unfassbar.


Die Lesungen waren eine Herausforderung. Das sind die Lesungen in 6. Klassen immer. Während ich die 3., 4. und 5. Klassen schwupsdiwups einfach mitnehme, sind die Prinzessinnen, die halbstarken Rabauken und beinahe abgeklärten Weltretter zwischen 11 und 13 Jahren nicht ganz so leicht zu beeindrucken. Denn das versuchen sie ja selbst den ganzen Tag – irgendjemanden zu beeindrucken. Sie wissen auch nicht so genau, ob sie es nett oder peinlich finden sollen, wenn ich meinen Figuren eine Stimme gebe und die meine also verstelle. Als sich aber einer der vier lautesten der coolen Revoluzzer über den beim Quiz gewonnenen Weltretterbutton freute (er hatte also doch irgendwie zugehört) und mich hinterher mit vielen echt interessierten Fragen löcherte, als die Lehrer sich bedankten und einer fragte "Wie machen Sie das nur?", da war alles gut und ich schlug mir ein wenig verschämt und unbeobachtet auf die Schulter.


Dann stromerte ich durch das Mittelalter und das Backsteinbarock Lüneburgs und fragte mich, ob man ein besserer Mensch ist, wenn man in so viel pittoresker Gemütlichkeit aufwachsen darf.


Und dann brach der Orkan los.
Ich dachte noch, ich könnte mich in meinen Zug Richtung Heimat flüchten. Pff! Hunderte wild telefonierende Menschen belagerten aufgeregt die Anzeige (und die 10 Sitzmöglichkeiten des Lüneburger Bahnhofs), die meinen Zug mit 2 Stunden Verspätung anzeigte. Was anderes fuhr gar nicht mehr.


Was tun? Sitzen ging ja nicht. Ich kämpfte mich durch den Orkan auf die andere Straßenseite in die Spielhalle. Dort wollte ich mein Schicksal bedauern, meiner in der Fremde verlorenen, vom Sturm gefangen gehaltenen Seele das ganze Verlierer-Spektrum bieten und all mein (Bar-)Geld verspielen. Dramatisch viel war das gar nicht und ich wurde es in der Wartezeit auch nicht richtig los. Immer wieder gewann ich etwas, so dass sich der Betrag kaum änderte. "Nicht einmal das", dachte ich enttäuscht, als ich wieder in die Bahnhofshalle lief, die nun noch voller und aufgeregter brummte und deren Anzeige nichts mehr anzeigte. Niemand würde in dieser Nacht diese Stadt per Zug verlassen können. Ein kleines fiebriges U Turn-Gefühl bemächtigte sich meiner jetzt doch.
Aber dann rief ich den Veranstalter in Form der netten Frau Debuch an, die mir ein noch schöneres Zimmer im selben Hotel reservierte. Dort saß ich dann gemütlich in einem Sessel, trank einen eingeschmuggelten roten Wein, war ein bisschen melancholisch, schrieb ein wenig, las etwas, illustrierte meine Notizbuchseiten mit Rotwein und Zahnpasta – was man eben so tut, wenn man wohlig und geborgen ganz alleine mit einer Flasche Rotwein im Bett hockt, während draußen ein Orkan durch die Gassen heult.
Am nächsten Morgen hatte ich dann wunderbar Zeit, noch einmal mit meiner Kamera durch die Stadt zu stromern. Wie gesagt, ich hatte es ja nicht anders gewollt. :-)


St. Michaelis ist unglaublich beeindruckend. Die riesigen Backsteinsäulen, die das Kirchendach tragen, sehen aus, als kippten sie jeden Moment um. Wie der schiefe Turm von Pisa.


Krude Nixen locken in die Altstadt.


Yarnbombing, ...


Kunst, ...


... meine (umgekehrten) Initialien ...


... Urban Gardening ...


... alte Ornamente ...


... und Street Art – alles in der Baumstraße. Ein schöner Ort.


Die alte Salzfabrik steht zum Verkauf. Hoffentlich bleibt sie so toll nach der Sanierung und dem Umbau in Eigentumswohnungen.




Seltsame Heringe schmücken vielerlei Orte in Lüneburg. Sie sind bemalt und hängen so herum.


War hier etwa das Graffiti-Künstler-Duo ZEZAOS aus Sao Paulo zu Besuch in der Beschaulichkeit?




Herakut haben auf alle Fälle diese Wand verschönert. Sehr nett der kleine Wichtigmacher: Seelow – mit Beleuchtung. Ist das dreist, unwissend oder war das Schild schon vorher da? Ist er Street Art Fan? Ich musste viel über Herrn und Frau Seelow nachdenken. Denn diese Situation erinnerte mich ganz stark an eine Szene aus den Stadtteilrittern, meinem neuen Buch, das im Frühjahr erscheint.




Im Seifenhaus Erika gab es nicht nur Parfüme und handelsübliche Drogen (also Medikamente) sondern auch Kindernähr- und Pflegemittel.



1 Kommentar:

  1. Amelie, meine 10jährige Tochter war sehr begeistert und hat sich gleich gestern das Buch gekauft.
    LG Silke

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