"Antje, möchtest du noch den FAZ-Artikel über die armen Schriftsteller lesen?", fragte letztens mein Vater. "Nein, danke, ich bin selbst einer von denen." Noch schlimmer, ich bin Kinderbuchautorin.
"Bist du reich?", fragen mich die Kinder oft nach den Lesungen. "Ja", sage ich dann, "aber nicht an Geld."
Über Geld spricht man nicht, hieß es früher. Und auch heute wird von mir erwartet, Geld zu haben. Denn wer keines hat, gehört nicht dazu. Als aber die Tage die Waschmaschine kaputt ging, eine Bekannte mich, ob meiner finanziellen Wirklichkeit verstört anschaute ("Aber ich dachte doch, jetzt nachdem du soviel Erfolg ..."), als eine weitere der ungezählten Leseanfragen zu einem geringen oder gar zu keinem Honorar eintrudelte ("Aber Sie hätten doch davon eine Möglichkeit bekannter zu werden ..."), als ich wieder einmal mit geschätzten Kollegen sprach, die noch ein weiteres Jahr versuchen wollen, als Schriftsteller durchzuhalten, da ging mir die Hutschnur hoch.
Hier die Fakten:
Ich arbeite etwa 6 Monate an einem Buch. Vom Verkaufspreis bekomme ich (wohl standardmäßig) weniger als einen Euro pro Buch. Wenn 5000 Stück (bei einem kleineren Verlag) im Jahr verkauft wurden, freut sich der Verlag und beschreibt das Buch als Bestseller. Macht sich jemand die Mühe, das einmal auszurechen? Ich traue mich nicht.
Jeder sieht, überleben kann ich nur, wenn ich aus meinen Büchern auch vorlese. Das mache ich nämlich nicht, um das Buch bekannter zu machen. Keiner in der Branche geht davon aus, dass der eigentliche Arbeitsprozess, nämlich das Buch zu schreiben, zum Leben ausreichend honoriert wird (davon ausgenommen sind natürlich "Stars", die es wie überall gibt). Der gemeine Kinderdichter muss auf Lesereise gehen, also für seinen Lohn doppelt arbeiten.
Als Honorar für eine Lesung werden 300 Euro empfohlen. Ich kenne viele Menschen (auch einige Kollegen), die dafür nirgendwo hinfahren würden. Schon gar nicht 5 Stunden mit dem Zug und wieder zurück inklusive einer Übernachtung irgendwo weit ab der Heimat und der Familie.
Ich tue das gerne und freue mich über jede Lesung. Ich habe mir auch ein wirklich schönes Programm dafür ausgedacht. Es hat mich einigen Mut gekostet, denn ich bin nicht besonders reichlich mit Selbstbewusstsein versehen worden, das zu zugeben, aber ich weiß inzwischen: Meine Bücher sind klasse (wenn ich das nicht glauben würde, dann hätte ich längst aufgegeben), ich kann sehr gut vorlesen (hier der Beweis), ich habe mir ein tolles Quiz zum Buch ausgedacht (mit Gewinn) und zu guter Letzt beantworte ich alle Fragen der Kinder mit Freude, Lust und auf humorvolle Weise. Ich springe sogar mit dem Mikrofon auf und ab, lasse die Kinder sich selbst applaudieren und sehe dabei nur auf den entstandenen Fotos doof aus.
Um finanziell über die Runden zu kommen, müsste ich etwa 80 Mal im Jahr lesen. Ernsthafte Leseanfragen bekommt man jedoch nur, wenn das Buch zuvor ausreichend in den Medien besprochen wurde. Bei 8000 Neuerscheinungen von Kinderbüchern pro Jahr muss für ein Buch nicht nur geklappert sondern gebrüllt und getanzt werden. Das geschah für den "Letzten Donnerstag" wunderbarerweise zuhauf. Leider nicht für seinem Nachfolger, den "Letzten Montag". Der erschien im Sommerloch. Ist einfach verloren gegangen zwischen Sonnenschein, Sand und Wellen. Niemand bemerkte ihn. Darum gibt es kaum Leseanfragen. Für mich und meine Kinder ist das fatal. Aber ich gebe nicht auf. Im Frühjahr erscheint mein nächstes Buch.
Viel öfter als gewollt, bekomme ich unseriöse Leseanfragen. Darüber bin ich nicht nur traurig, sondern auch erbost. Allerorts hört man davon, wie wichtig die Lesekompetenz bei Kindern sei, dass man diese fördern MUSS. Unzählige unglaublich wichtige Menschen aus Politik und Bildungsbereichen spannen Schirme dafür auf. Meine Bücher sind ausgezeichnet als "die Lesekompetenz fördernd", als "Leselust weckend" ("spannend, rasant und urkomisch") gerade bei der schwierigen Zielgruppe, den Jungs. Und dann das: Immer wieder wird von mir erwartet, von meinen Honorarvorstellungen abzuweichen. "Sie wissen doch, das Kulturbudget ist nicht üppig / Denken sie doch an die Kinder / Wir haben viele Familien mit Migrationshintergrund / ... / ... und Sie als Kinderbuchautorin sollten doch wirklich ..." Man spielt bewusst mit meinem Gewissen und versucht mich zu manipulieren. Wenn ich auf meinem Honorar bestehe, bin ich ein schlechter Mensch und habe mich als Kinderbuchautorin disqualifiziert, so wird mir suggeriert. Mich macht das manchmal sehr wütend. Gehen dieselben Menschen auch in ihre Modeboutique, zu ihrem Lebensmittelhändler, in die Autowerkstatt, zum Arzt, zu ihrem Reiseleiter, ihrem Therapeuten, zu ihrem Bürgermeister und zu den Lehrern ihrer Kinder und fordern erst einmal einen Gehalts- und Honorarverzicht? Verzichten sie selbst, weil es doch gerade in der Firma etwas eng ist?
Wo sollen denn all die wunderbaren, wichtigen Bücher herkommen, die unseren Kindern eine fantasievolle Zeit und aus ihnen gute Menschen machen sollen? Wer soll ihnen daraus vorlesen? Wer bringt die Jungen dazu, wenigstens hin und wieder unter ihrem Rechner hervorzukriechen? Wer lässt Kinder reisen (wenigstens in ihren Köpfen) und wachsen? Wer lässt sie erfahren, was Kultur ist?
Wer soll all das machen, wenn niemand dafür bezahlen möchte? Ein paar idealistische Spinner und bescheidene Träumer. Solange sie eben durchhalten. Ich bin so einer.
Liebe Antje,
AntwortenLöschenich finde gut, was du sagst. Ich persönlich finde Kinderbücher extrem wichtig, aber auch leider viel zu unterschätzt. Ich kenne Elternhäuser bzw. Kinderzimmer, da stehen, wenn überhaupt, Sachbücher herum. (Sachbücher sind toll, so ist es ja nicht.) Doch Bücher, die die Phantasie beflügeln, die Kinder Abenteuer erleben lassen, ohne dass sie sich dabei Kratzer holen, werden viel zu wenig beachtet. "Kinder sollen lesen, ja. Aber dann sollen sie dabei bitte auch was lernen." So scheint der allgemeine Tenor zu lauten. Ich glaube, das, was da mit den Kinderbüchern passiert, steht bezeichnend für das, was mit unseren Kindern allgemein passiert. Sie sollen so früh wie möglich eigenständig werden, sie sollen am besten alles wissen und alles können, das am besten so früh wie möglich, damit sie als Erwachsene gut funktionieren. Und dabei geht das Kindsein ein Stück verloren bzw. ist ein Luxus, den man sich vielleicht leisten kann, vielleicht auch nicht. Es scheint, als würden wir Erwachsenen denken, dass es wichtigere Dinge gibt als die Welt zu retten oder das Böse zu besiegen. - Und zum Thema Geld und über die Runden kommen: Gerade durch die "Stars" entsteht der Eindruck, dass ein Schriftsteller den lieben langen Tag durch blühende Gärten flaniert bis ihn die Muse küsst, dann schreibt er "mal eben" ein Buch, das natürlich viel Geld in die Kassen bringt, und flaniert anschließend weiter. Ich weiß von Schriftstellern, die ihren Beruf (und ihre Berufung) wie einen Vollzeitjob angehen: Sie schreiben jeden Tag, regelmäßig, sie recherchieren, etc. - Ich wüsste nicht, weshalb sich dieser Beruf von z. B. dem Beruf eines Lehrers, einer Büroangestellten oder wem auch immer unterscheiden sollte. Ich würde meinem Chef ganz gewaltig einen Vogel zeigen, wenn er mich fragen würde, ob ich aus Rücksicht auf die finanzielle Lage mal auf mein Gehalt verzichten würde. "Aber ihr Job macht Ihnen doch Spaß" sollte kein Totschlagargument sein, wenn es um Gehälter/Honorare geht. Schließlich musst du (und muss deine Familie) auch von etwas leben.
Liebe Antje, danke für diesen Post!!!
AntwortenLöschenVor einiger Zeit habe ich auf meinem Blog eine Reihe eingeführt "Das Märchen vom Freiberufler", einfach weil es mich so sehr nervt das viele leider blauäugig diesen Berufsweg einschlagen und gleichzeitig und vor allem, weil es einfach in der Gesellschaft nach aussen den Anschein macht, als wären alle Freiberufler "reich". Wir sind reich an Kreativität und können in vielen Lebenslagen bestimmt auch hervorragend improvisieren. Aber was wir nicht können ist unsere Arbeit "für umsonst" oder besonders auch in deinem Fall "der Kinder wegen" machen. Denn auch wenn es noch so viel Spaß macht, man muss davon leben können. Solche Anfragen finde ich unter aller Sau… Ich gehe ja auch nicht zum Friseur und frage ihn ob er an mir Frisur X ausprobiert. Und wenn es mir gefällt, dann zahl ich ein bisschen was. Immerhin laufe ich danach ja mit "seiner" Frisur rum, dass muss doch Bezahlung genug sein. Ich bin mir sicher, danach hätte ich in diesem Friseursalon Hausverbot…
Bitte träum weiter und mach weiterhin so tolle Bücher!!!
xo Julia
Liebe Antje,
AntwortenLöschengenau wie dir geht es auch den Kinderbuchillustratoren, wie ich eine bin. Und als ich Standdienst bei der Illustratorenorganisation auf der Buchmesse hatte, musste ich mir von einer Erzieherin, die für eine von ihr geschriebene Geschichte Illustrationen wollte, anhören "Die Illustratoren sind immer so materialistisch eingestellt!" Wenn wir das wären, würde wir ganz sicher nicht in diesem Bereich arbeiten. Aber unsere Miete müssen wir auch irgendwie zahlen...
Liebe Grüße, Outi
toller Artikel! Schade, dass man selbst als erfolgreicher Schriftsteller kaum von seinem Job leben kann...
AntwortenLöschenDanke für den Einblick und viel Erfolg!
AntwortenLöschenIch schreibe keine Kinder- sondern Computerfachbücher. Das Schreiben macht mir Spaß, ich vermittle gerne Wissen und wenn es Leuten hilft, freue ich mich drüber. Aber deine Zahlen kommen mir verdammt bekannt vor. Sechs Monate für ein bis zwei Euro bei fünftausend verkaufte Stück. Das haut hin. Wenn das Buch gut läuft. Oft eher weniger. Die meisten Leute da draußen staunen nur ungläubig, wenn man denen erzählt, was die meisten Autoren so bekommen.
AntwortenLöschenUnd da seltsamerweise niemand Lesungen aus einem Computerfachbuch haben will, sind es bei mir Seminare, die zum Überleben beitragen. Die Anzahl der Seminarbesucher ist aber verschwindend gering im Vergleich zu den Hilferufen, die per Mail oder in Foren beantwortet werden. Unbezahlt natürlich. Aber das tue ich eigentlich auch gerne, denn es hilft den Leuten weiter.
»Ein paar idealistische Spinner und bescheidene Träumer.« Da läuft's wohl drauf hinaus. In diesem Sinne: Danke für deinen Beitrag.
Schön und informativ geschrieben. Vielen Dank dafür.
AntwortenLöschenDanke für diesen Beitrag! Mir geht es ähnlich. Ich schreibe nicht, sondern bin am Theater. Da habe ich für 1750 € (brutto) gearbeitet. 60 Stunden die Woche. Wochenende, Feiertage. Nach einem Studium mit 1-er-Abschluss.
AntwortenLöschenNach der Elternzeit werde ich nicht zurück gehen. Diese Stunden kann ich nicht mehr leisten und für dieses Gehalt möchte ich auch nicht mehr arbeiten. Die Frage ist nur, was dann? Schwierig, wirklich schwierig....Wenn nicht so viel Herzblut drin stecken würde...
Herzliche Grüße
Frau Nilsson
Dieser Bericht wurde gerade frisch verlinkt: http://buecherdidi.blogspot.de/ - Schöne Grüße!
AntwortenLöschenLiebe Antje,
AntwortenLöschenrecht hast du, und es ist wichtig, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass es Arbeit ist, die wir leisten. Wenn du gestattest, dass ich hier etwas verlinke: Ich habe bereits vor sieben Jahren dazu in der Federwelt geschrieben (steht jetzt hier: http://autorenblog.writingwoman.de/index.php/blog/blogging/alles-hobby-oder-was-die-sache-mit-dem-lesungshonorar1/) und ich bin traurig, dass sich anscheinend immer noch nichts verändert hat.
Weiterhin viel Erfolg - vielleicht bessert sich die Situation ja doch irgendwann!
Liebe Grüße
Petra A. Bauer