Mittwoch, 15. Oktober 2014

Heul doch! – Frau Herden lebt nahe der Wasserkante

Man Ray Larmes Tears

Gestern auf der Autofahrt zu einer Lesung in Bad Wimpfen schob ich eine CD in den Player, skipte auf den zweiten Track, lauschte den ersten Tönen und begann wie ein Schloßhund loszuheulen. 

Wer mich kennt, der weiß, das ist so besonders nicht. Frau Herden ist nahe am Wasser gebaut, sie heult oft und, so könnte man meinen, gern. Stimmt aber gar nicht. Also, das ich das gerne machen würde. Es ist erschöpfend und nicht selten peinlich, wenn es nämlich im öffentlichen Bereich passiert, wie die Architektin in mir sagen würde. Richtig ist jedoch, dass ich sehr, sehr oft weinen muss. 

Das ist genetisch, keine Frage. Als wäre es gestern gewesen, höre ich die belegte Stimme meines lieben Vaters, der uns Kindern Pippi Langstrumpf vorliest. Als die rot bezopfte Superheldin kurzentschlossen ihren Geldkoffer über Bord wirft und hinterherspringt, um doch nicht mit ihrem Papa in die Südsee zu tuckern, sondern um bei ihren Freunden zu bleiben, da kippte meines Vaters Stimme gar noch einige Grade mehr. 
„Papi, weinst du etwa?“, fragte meine Schwester in der ihr eigenen Art. 
„Quatsch, ich habe etwas im Hals und im Auge.“ 
Das hatte er dann auch bei den Toden von Sigismund Rüstig und Nscho-tschi. (Ab dann las ich die Bücher alleine. Aber nicht wegen der Tränen meines Vaters, sonders weil das schneller ging, da ich nicht auf den Abend warten musste.) 

Ich erinnere mich auch an einen sehr berührenden tränenreichen gemeinschaftlichen Moment von Vater und Tochter. Herbst ´89. Wir beide saßen vor dem Fernseher, beobachteten das Fallen der Mauer und ließen unseren Tränen freien Lauf. Sagen konnten wir nichts. 

Es ist also ganz sicher, dieses ständige Gerührtsein, dieses Keine-Luft-mehr-kriegen, diese Klöße im Hals und die nicht aufzuhaltenden Tränen, das wurde mir alles mit in die Wiege gelegt. Doch mit Hilfe von ein wenig Achtsamkeit und strategischem Überlegen komme ich trotzdem ganz gut durchs Leben. Einige Dinge gilt es eben zu meiden – bemützte und eingemumelte Krippekindergruppen auf Winterausflug zum Beispiel, Weltfussballendspiele, Schultheateraufführungen, Menschenketten oder friedliche Demonstrationen – im Prinzip alles, wo sich Menschen in einem gemeinsamen (schönen) Gedanken versammeln oder auch alles, was irgendwie mit Kindern zu tun hat, zumal mit meinen. 

Die CD, die ich mir auf der Autofahrt gestern anhörte, hatte im Postkasten gelegen.


(Vor vielen, vielen Jahren gelang es mir tatsächlich einmal, meine liebe Frau Mama davon zu überzeugen, mir eine BRAVO zu kaufen. Darin las ich einen kleinen Text über ein Mädchen, dass seinem Lieblingspopstar ein selbstgeschriebenes Gedicht verfasst hatte, das dieser dann mit Musik versah und auf einem seiner Konzerte zum Besten gab. Wie wunderbar musste sich das für das Mädchen angefühlt haben? Ich war sehr gerührt und musste mir ein paar Tränchen wegdrücken.
Als junges Mädchen hatte ich selbst eigentlich keine Idole. Weder war ich in einen Sänger noch in einen Schauspieler verliebt. So einen Unsinn machte ich dann erst viel, viel später. Doch als Kinderbuchautorin habe ich einige Helden, die ich für ihre Arbeit und ihre Art sehr bewundere. Andreas Steinhöfel zum Beispiel, Roald Dahl oder Philip Ardagh. Dieser kleine Einschub war jetzt noch wichtig, um das folgende zu verstehen.)

Ich drückte also auf Play.

„Geschichten über die Nacht.
Das Gespenst.
Von Antje Herden.
Gelesen von Andreas Steinhöfel.“ 

(Diese CD mit den vier Siegertexten des SOS Kinderdorf Literaturwettbewerbs eingelesen von Andreas Steinhöfel und für Kinder ab sechs Jahren, findet Ihr am Dezemberheft der ELTERN FOR FAMILY)

2 Kommentare:

  1. Oh, die Situationen, die Anlässe, die du beschreibst kommen haargenau so auch in meinem Leben vor. Ich habe allerdings noch nie gedacht, dass ich zu nah am Wasser gebaut habe. Früher nannte man so was wohl empfindsam. ( Heute habe ich auch einen Post zu einem Museumsbesuch, der mich dazu gebracht hat, eine Weile in eine Ecke zu stieren....)
    Und dieses Angerührtsein, wenn man seine Geschichte von einem tollen Vorleser vorgelesen bekommt, kann ich so gut nachvollziehen. Es ist doch herrlich, wenn man etwas geschaffen hat, was andere erreicht!
    Alles Liebe!
    Astrid

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Antje,
    mir geht es genauso, bei mir ist das auch genetisch bedingt. Erinnerst du dich, als wir zusammen mit unseren Ältesten in der alten Oper saßen, um die Sesamstraße zu sehen? Als ich mich verstohlen zu dir umsah stellte ich erfreut fest, dass ich nicht die Einzige bin, die gerade Rotz und Wasser heult. Wegen der Sesamstraße!
    Jetzt habe ich schon wieder Tränen in den Augen, weil ich mich so für dich freue!
    Warst du bei der Edition Bad Wimpfen?

    Liebster Gruß,
    deine Manu

    AntwortenLöschen