Mittwoch, 18. Oktober 2017

Die Mutterkolumne – Morgen tut es nicht mehr weh, oder: Das Recht auf Schmerz und Traurigkeit

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas versuche ich auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen oder sagen das, aber wieso eigentlich?



„Omi sagt, wenn du heiratest tut es nicht mehr weh“, tröstete das Töchterchen.
Empört blickte ihr Bruder mit tränenverhangenen Augen zu ihr auf. „Das dauert ja noch hundert Jahre! Und was ist, wenn ich keine Frau finde? Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt heiraten will.“
Dann stiefelte er davon, hinein in seine kleine Schmollecke. Dabei hielt er sich den Arm, den er sich an der Tür gestoßen hatte. Warum er allerdings auch humpeln musste, war mir entgangen.

Ich beobachtete heimlich das kleine Kerlchen in seinem Eckchen. Es warf mal schmerzverzehrte, mal wütende Blicke durch den Raum. Hin und wieder pustete es auf seinen Arm. Zwei weitere Trostversuche – Gummibärchen und etwas zusammen spielen – lehnte es ab.

Schließlich setzte ich mich zu ihm. „Tut der Arm noch dolle weh?“, fragte ich.
Er schüttelte erst den Kopf, um dann ganz schnell und sehr heftig zu nicken.
„Man kann da gar nichts machen? Niemand? Keine Schwester und auch keine Mama?“
„Nein. Es tut dolle, dolle weh. Und niemand kann was machen.“
„Könnte ein kleines Eis helfen?“
„Ein kleines Eis?“, flüsterte er empört.
„Vielleicht ein großes?“
„Mama, ich weiß, dass du es nicht magst, wenn mir was weh tut. Aber manchmal kann ein Eis nicht so groß sein wie das Aua.“
„Oh, mein armer Schatz, so sehr schmerzt dein Bein?“
Mein Kleiner nickte.
„Oder war es der Arm?“, fragte ich nach.
„Der auch. Und mein Bauch. Ich will jetzt auch gerne alleine sein. Mindestens fünf Minuten“, sagte mein geliebter Sohn.

Ich ging in die Küche und legte die Zutaten für den Familienlieblingskuchen bereit.
„Weißt du Mama, wenn das Bein, der Arm und der Bauch weh tun, weil man sich ein bisschen an der Tür gestoßen hat, dann ist es eigentlich das Herz“, sagte mein Töchterchen und schlug ein Ei in die Rührschüssel. „Und dann helfen auch kein Eis und keine Gummibärchen.“
„Weißt du, warum sein Herz weh tut?“, fragte ich mein weise Kleine.
„Ich glaube, er hat sich sehr dolle mit seinem Freund Tim gestritten, und Tim hat gemeine Sachen zu ihm gesagt.“
Ich nickte. „Das ist wirklich sehr schlimm.“
„Und darum muss jetzt eine Weile sein Arm weh tun, bis es wieder gut ist.“
Ich nickte wieder. Aus dem Schmolleckchen drang ein leises Weinen. Mein Herz tat mir nun auch furchtbar weh. Ich zwang mich, das Mehl zu sieben.
„Ganz manchmal will man dann auch keine Mama, sondern einfach ein bisschen weinen“, sagte meine Tochter und legte ihre kleinen butterverschmierten Finger zum Trost auf meine Hand.
„Verstehe“, murmelte ich.

Wir schoben den Kuchen in den Ofen, schnappten uns jeder eine entsprechende Zeitschrift, setzten uns auf das Sofa neben der Schmollecke, taten so als würden wir die Zeitschriften anschauen, und warteten.
„Was riecht hier so lecker?“, ertönte es endlich aus dem Eckchen. „Etwa Familienlieblingskuchen? Sind fünf Minuten schon um?“
Da machte mein Mutterherz einen freudig erleichterten Hüpfer.

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