Mittwoch, 10. Dezember 2014

Oh, du Fröhliche! – Geschenke suchen und finden in der Adventszeit



Als ich ein kleines Mädchen war, stöberten meine Schwester und ich in der Adventszeit durch die 60 Quadratmeter unserer sozialistischen Wohnung, spähten hinter alle Schranktüren und durchkramten – vorsichtig, ganz vorsichtig – die Kästen unterm Sofa und die Schubladen im Schlafzimmer meiner Eltern. Wir waren schnüffelnde Spurensucher auf der Jagd nach den versteckten Weihnachtsgeschenken.
Nachdem wir nämlich herausgefunden hatten, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt, erklärten wir das Geschenkeaufspüren in der Adventszeit zu unserer Passion. Sehr zum Ärger meiner lieben Frau Mama, die in jedem Jahr erneut ein Versteck in der viel zu kleinen Wohnung suchen musste, das doch immer wieder von uns gefunden wurde, wie ihr verräterische Schokoladenfingerabdrücke oder sehr ungeschickt zurückgelegte Kleiderstapel erzählten.
Ich mag mir ihre Enttäuschung gar nicht vorstellen, wenn sie freudig etwas Schönes für ihre Mädchen gefunden hatte, das aus irgendeinem Grunde aus dem öden Plansollwarenangebot der ehemaligen DDR, die sich ja auch nicht entblödete Weihnachtsengel geflügelte Jahresendzeitfiguren zu nennen, herausstach, und dieses Besondere dann bis zur Bescherung verwahren wollte, um es uns auswickeln zu sehen während sich unsere kleinen Münder zu einem freudigen Oh formen und unsere Augen Sternen gleich strahlen würden.
Das mussten wir dann am heiligen Abend spielen. Unter den Argusaugen unserer Mama, die uns nicht verraten hatte, dass sie wusste, dass wir wussten, sondern uns die freudige Überraschung aufführen ließ. Wir befürchteten erst, dann ahnten und schließlich erkannten wir siedend heiß, dass sie unser Spiel durchschaute. Oh, wie bitter brannte die gerechte Scham in unseren Herzen unterm geschmückten Tannenbaum.
Warum taten wir es dann aber im nächsten Jahr wieder?
Ich weiß es nicht. Es war vielleicht dieser Kribbel aus Jagdfieber und erwartungsvoller Vorweihnachtszeit. Dieses „Ob es schon Zeit ist?“ oder das „Hast du gesehen, sie trug heute einen großen Beutel nach Hause und ist gleich im Schlafzimmer verschwunden?“ Nach den versteckten Geschenken zu suchen, gehörte einfach dazu.
Und wie groß war die Freude, wenn wir doch nicht alles entdeckt hatten, wenn es doch noch eine echte Überraschung gab, etwas, das wie vom Weihnachtsmann gekommen war, das wir nicht gefunden hatten, weil wir es vielleicht nicht einmal zu wünschen gewagt hatten.

Wie sehr unser Verhalten meine Mutter ärgerte, enttäuschte, vielleicht sogar verletzte, kann ich nur ahnen. Ich weiß aber, wann es aufhörte. Das war 1982. Aus irgendeinem Grunde hatte die Regierung beschlossen, das jährliche Plansoll an Schokoladenwaren wäre bereits im Sommer erfüllt gewesen. Es gab keine Weihnachtsschokolade. Ich war damals für die kleinen täglichen Einkäufe zuständig. Als ich vom Schokoladenmangel hörte, machte ich das zu meiner Mission: Ich würde dafür sorgen, dass meine Familie am heiligen Abend ein Stück Schokolade essen konnte.
Wann immer sich über den Herbst irgendwo lange Schlangen bildeten, ich stellte mich hinten an. Es konnte sich am anderen Ende nur um den Verkauf von Weihnachtsschokolade, Orangen oder Mohrenköpfen handeln. (Mohrenköpfe kaufte ich übrigens nie, ich war mir unsicher, was das eigentlich sein sollte.) In wie weit meine Familie überhaupt mitbekam, in welcher selbst erklärten Lage ich mich befand, weiß ich nicht. Aber als ich mir zu überlegen begann, wo ich die eventuell aufgespürte Schokolade bis zum Fest verstecken könnte, war der Zauber plötzlich gebrochen. Das war irgendwie schlimmer, als die Wahrheit über den Weihnachtsmann.

1 Kommentar:

  1. Mein bestes Geschnek war im Keller versteckt gewesen, meine Güte hatte ich gesucht (und nicht gefunden), da war die Überraschung wirklich mal groß. Da hatten wir die DDR aber schon hinter uns gelassen, und es war eine Stereoanlage.
    An lange Schlangen vor vermeintlich abzugebenden Navel-Orangen erinnere ich mich gut. Wir hatten aber nicht die entsprechenden Beziehungen zum ausgebenden Personal und bekamen öfter keine ab.
    Einmal hatte ich das gebunkerte Westgeld meiner Mama gefunden. Gerne hätte ich mir im Intershop meinen Traum erfüllt und einen kindgerechten Modeschmuck-Ring gekauft. Aber das wäre wohl zu sehr aufgefallen, also trug ich weiter Muttern aus der Werkzeugkiste, die dann nicht mehr vom Finger gingen. Was das betrifft hält sich meine Sehnsucht nach der Kindheit in Grenzen. ;)

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