Mittwoch, 6. August 2014

Was sollen die Lügen? – Frau Herden wird alt und mag das nicht


Ich bin ein Sommerkind. Allerdings bin ich kein Kind mehr sondern eine Frau. Eine Frau in mittleren Jahren. Mit anderen Worten: Ich werde alt.
Dass ich den Sommer liebe, kann man sehr gut an meiner Haut ablesen. Auch dass sich in den 70er und 80er Jahren niemand für Sonnencreme interessierte und dass ich die 90er auf meinem Surfbrett liegend im Ozean verbracht habe. Letztens sagte meine Freundin, die Hautärztin ist: „Antje, für diese Sonnenschäden bist du eigentlich zu jung. Die können wir weglasern.“


Ich finde ja, ich bin nicht nur für diese Sonnenschäden zu jung. Ich scheine sowieso viel zu jung für diesen Körper und dieses Gesicht zu sein. Darum erschrecke ich auch immer, wenn ich mich mal zufällig in einer Schaufensterscheibe gespiegelt sehe. Aber das kann ich ja nicht alles weglasern lassen. Und dann verstehe ich die irritierten Blicke der Menschen auf der Straße ob meines Auftretens. Das entspricht nämlich in seiner Art und Weise eher meinem innerlich gefühlten Alter, sagen wir mal: 27. Allerhöchstens.
Im Gegensatz dazu stehen meine Falten, die drei grauen Haare, die ich letztens ausriß, und auch diese relativ ausladende Figur, die ich niemals haben wollte. Weiblich, nennt das ein lieber Freund. Weiblich kannte ich früher nicht. Nicht bei meinen mageren Armen oder den herausstehenden Hüftknochen und auch in den Doppel A-Körbchen war die nicht zu entdecken gewesen. Nun ist sie da und lässt sich herumschleppen. Das geht auf die Gelenke. Die schmerzen, als bekämen sie dafür einen Orden. „Genetisch bedingte Arthrose. Frau Herden, es tut mir leid“, sagte der Arzt vor etwa sieben Jahren zu mir. Ich weiß schon, warum ich dort sonst nicht hingehe. Allerdings konnte er ja gar nichts dafür. Genauso wenig wie meine liebe Frau Mama, die sich wegen der ungünstigen Gen-Weitergabe bei mir entschuldigte. Also echt.

Ich sage mal: Ich mag das Altern nicht! Das lasse ich mir auch nicht schön reden. Von niemandem. Weder von klugen Menschen noch von Frauenmagazinen, die die Jugend hofieren und dann schreiben, das Alter sei das eigentlich Feine. Ha! Alles Lüge. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe jahrelang für die als Model gearbeitet.
Ich fühle mich weder irgendwie entspannter als früher noch weiser werdend. Im Gegenteil. Ich mache noch immer dieselben blöden Fehler, nur dass es jetzt viel mehr Vorbereitung bedarf, bis mir die Möglichkeiten dafür begegnen. Und ich traue mich nicht mehr so viel. Aber nicht, weil ich heute klüger bin, sondern weil ich Schiss habe. Heilt ja nicht mehr so gut, so ein Oberschenkelhalsbruch. 
Altern tut weh und sieht doof aus (zumindest bei mir). Klar, erzählen Falten Geschichten. Und ich mag Geschichten. Aber auch ich fasse lieber glatte Haut und straffe Muskeln an und will mich dafür nicht entschuldigen müssen. Morgens würde ich lieber aus dem Bett in den Tag hinaushüpfen, statt erst mal meine steifen Glieder zu mobilisieren, um dann auf allen Vieren ins Bad zu kriechen. Und nachts möchte ich tanzen! Tanzen, trinken und die Sonne aufgehen sehen. Oh ja! Manchmal mache ich das tatsächlich. Aber nur, wenn ich weiß, dass ich die darauf folgende Woche weder irgendetwas zu tun habe, noch überhaupt mein Bett verlassen muss.
Ich bin so gierig nach dem Leben und muss so oft durch eine Schutzscheibe zuschauen, eine Schutzscheibe, die mir das Alter aufzwingt. Dabei weiß ich, dass es noch schlimmer werden wird. Eine 92jährige Frau sagte einmal über das Alter, sie säße in ihrem Sessel und könne sich kaum mehr bewegen. Aber in ihrem Kopf, da sei sie noch immer das 23jährige Mädchen, da höre sie die Musik und möchte dazu tanzen, tanzen, tanzen. Na, bitte! Ich musste heulen.

Ich weiß, dass es ein Tabu ist, sich so äußern. Ich weiß, dass sich nun viele aufregen und über mich schimpfen werden. Nun, vielleicht kriegen die das irgendwie besser hin? Vielleicht hatten sie bereits genug vom Leben oder sind bescheidener als ich? Vielleicht können sie sich auch einfach nur leichter selbst belügen? Ich bewundere das ja und wünsche ihnen, dass es bis zum Ende funktionieren möge. Für mich kann ich sagen: Es tut verdammt gut, da einfach auch mal ehrlich zu sein und nicht immer so tun zu müssen, als wäre es anders.

Aber, hey: Draußen ist Sommer. Die Sonne scheint und der Gesang der Vögel hat mich aus dem Schlaf geholt. Ich schlüpfe in ein Kleid und schwinge mich auf mein Rad. Wegen des holprigen Pflasters in unserer Straße fahre ich verbotenerweise auf dem Bürgersteig. Als der ältere Herr hinterm Hibiskusbusch mir vors Rad springt, bin ich mir sicher, dass er mich zuvor aus seinem Fenster gesehen, schnell Hut und Stock gegriffen hatte, die Treppe hinuntergestürmt war und im Vorgarten hinterm Busch hockend den richtigen Moment abgepasst hatte. Elegant weiche ich aus. Nun gut, vielleicht nicht wirklich elegant. Ich fahre ein schweres Herrenrad mit einem Korb hinten und einem dieser holländischen eisernen Gestelle mit Kiste vorne. Aber ich habe ihn definitiv nicht berührt.
Trotzdem brüllt er mir nach: "Das ist ein Fussweg! DUMME GÖRE!"
Und ich?
Hätte ich mich getraut, ich hätte jubelnd die Arme hochgerissen. So aber rufe ich nur: "Ihnen auch einen schönen Tag! Und vielen, vielen Dank! You made my day!"

2 Kommentare:

  1. hahahaha! jetzt musste ich aber mal herzhaft lachen! über die "dumme göre" und die freude darüber. früher wünschte man sich, älter zu sein, um in die disco zu kommen. heute freut man sich, wenn man für jünger gehalten wird. verdrehte welt!
    ich finde das mit dem alter sehr ambivalent. zum einen bin ich wirklich sehr froh, älter zu werden. es befreit mich von selbstzweifeln und doktrinen, nach denen ich mich in jüngeren jahren gerichtet habe. das alter mach mich gelassener. aber es nimmt mir leider auf der anderen seite die zeit für dinge, für die ich mich bis vor kurzem noch gar nicht reif genug gefühlt habe - kinder, z.b.. leider bin ich jetzt schon über 40 und da ist das dann ja so eine sache... dann denke ich aber wieder "gott, du bist selber noch ein kind - wie willst du da eins groß ziehen?".
    das mit dem schiss vor manchen dingen, kann ich übrigens bestätigen. früher noch locker bungee gesprungen - heute schon fast einen herzinfakt, wenn man von einem hohen turm guckt.
    schräge sache, mit dem älter werden. wirklich. :)
    aber lebenslustig wie 27 bleiben, ist sicherlich nicht die schlechteste art, dem alter die lange nase zu drehen.
    herzliche grüße
    die frau s.

    AntwortenLöschen
  2. Jaaaa! Unterschreibe ich. Das einzig Gute am Altern ist, dass man jetzt alles aufs Altern schieben kann und dass man ungefragt weise Ratschläge erteilen darf. Das wollte ich schon immer tun.
    L.G. Gabi

    AntwortenLöschen